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ARI TIM DAB RDS TPT : Die Matrix hat Dich

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1922 wird das erste Autoradio der Welt in einen Ford T gepflanzt. 1932 kostet ein Superhethempfänger der Radiotelefon und Apparatefabrik Ideal AG, später Bosch Blaupunkt, etwas ein Drittel des Preises eines kompletten Automobils. Das Gerät wiegt über 15 kg, hat etwa die Größe eines Bierkastens und benötigt eine separate Stromversorgung.
Lautstärke und Sender werden über Seilzüge von der Lenksäule aus eingestellt. Zu Édith Piaf und Lale Andersen geht es so im offenen Horch über die erste Autobahn zur Sommerfrische ins mondäne Seebad. 1949 gelingt es erstmals, das Radio so klein zu bauen, dass es an seinem heutigen Einbauplatz in der Armaturenkonsole untergebracht werden kann.
Die Geburtsstunde der individuellen Musikgestaltung am Steuer schlägt aber erst 1958 mit dem Phillips Mignon, einem einem Abspielautomaten für 17 cm Schallplatten, der unter dem Armaturenbrett montiert wird und vorzugweise während der Standzeiten zu bedienen ist. Anfang der Sechziger beginnen nach und nach Transistoren, die Röhren in den Geräten abzulösen. 1968 präsentiert Phillips das erste Gerät für Kompakt-Kassetten. Danach geht es Schlag auf Schlag. Magischer Raumklang von A- bis C-Säule. Blaupunkt Frankfurt, das erste Stereo Radio. Becker zieht mit dem ersten Stereo Kassettenspieler nach, Blaupunkt topt mit dem Berlin, dem ersten Vollstereo Kassettenradio. Zu Joan Baez und Bob Dylan geht es nun bekifft im Bully nach Kopenhagen.
 In den USA kann sich parallel die Eight-Track Kassette eine Zeit lang behaupten, bis sie Ende der Siebziger von der Kompakt-Kassette abgedrängt wird. Die Stereo Kompakt-Kassette gibt 10 Jahre lang unangefochten den Ton auf den Landstraßen an. Die Krönung der Schöpfung sollte man meinen, aber Babylon will bekanntlich immer höher hinaus: ARI, PCI, Keycard, RDS, Code, Bluetooth, MP3, DAB, Navi, TIM, TMC, Flash, USB, DVD, TPT. - und die Matrix hat Dich.
Seit einigen Monaten spult hinter der Armatur meines E28 wieder Magnetband ab. Blaupunkt Frankfurt von '89 mit wenigen, überschaubaren Basisfunktionen. Dem Impuls, mir wie gewohnt die Endstufe mit iPod Stecker unter den Sitz zu schieben konnte ich diesmal widerstehen. Immerhin ist das Frankfurt zeitgemäßes Zubehör, und die Orignalquäker wären beim Einschalten einer 300 Watt Endstufe vermutlich ohnehin abgeraucht. Es ist aber auch noch mehr, als bloße Nostalgie. Beim näheren Hinsehen ist das gute alte Tape modernen Audiomedien nämlich in vielen Punkten überlegen.
Mit dem Tape läßt sich ohne komplizierte Konvertier- und Rip-Programme alles aufzeichenen, was auch aus den Wohnzimmerboxen dröhnt. Ob von CD oder Vinyl, ob Soundtrack von einem VHS Video, einer DVD oder von YouTube. Die Radiosender von GTA San Andreas oder die Playlist von Gran Tourismo. Lifemucke, Äther, MP3, Podcasts oder Webradio - plug 'n play wie es sein sollte.
 Ein Tape kann aus ein paar Metern Höhe auf den Boden knallen und bleibt heil. Es kann im dreckigen Fußraum vor sich hin oxidieren oder auf der Werkbank einsiffen ohne Schaden zu nehmen. Bei Bandsalat kann man es aufschrauben und wieder aufspulen und wenn es reißt läßt es sich mit einem Stücken Tesa wieder kleben.
Aber das Beste: Nimmt Dir jemand ein Tape auf, weißt Du, diese Person hat mindesten einen Nachmittag lang ihre Zeit für Dich investiert. Sorgfältige Auswahl von Stücken und Abfolge, Aussteuern, Übergänge eine handgeschriebene Playlist und ein gebasteltes Cover für die Hülle.
Es gibt für mich nur wenige Geschenke, die ein so hohes Maß an Wertschätzung ausdrücken können, wie ein gut aufgenommenes Mix-Tape.


Quelle: Motoraver Magazin

Avatar von Motoraver
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