54. Verkehrsgerichtstag 2016 in Goslar

Experten fordern: MPU schon bei 1,1 Promille

verfasst am Fri Jan 29 16:47:17 CET 2016

Marode Straßen, Dashcams, Idiotentest und Alkohol: Das sind die Schwerpunkte der jährlichen Tagung für Verkehrssicherheit in Goslar. Ihre Empfehlungen werden oft Politik.

Die Instanz rund um Rechts- und Verkehrssicherheitsfragen: Auch bei seiner 54. Tagung sprach der Verkehrssicherheitsrat in Goslar einige Empfehlungen aus
Quelle: dpa/Picture Alliance

Goslar - Beim Verkehrsgerichtstag in Goslar befassten sich rund 2.000 Experten mit aktuellen Verkehrsthemen. Oftmals folgte die Politik in der Vergangenheit ihren Vorschlägen. Auch in diesem Fall? „Wir müssen ernsthaft über eine Infrastruktur-Behörde für den Bau und den Betrieb von Fernstraßen nachdenken“, sagte Ex-Generalbundesanwalt Kay Nehm am Donnerstag bei der offiziellen Eröffnung des 54. Deutschen Verkehrsgerichtstages (VGT) im niedersächsischen Goslar.

Die maroden Straßen in Deutschland Nehm ein Dorn im Auge, die Bemühungen der Bundesregierung reichen aus seiner Sicht nicht aus. Neubau und Sanierung hinkten weit hinter dem Bedarf her. Eine bundesweit zuständige Infrastruktur-Behörde sieht Nehm dagegen als probates Mittel gegen „marode Straßen und Brücken, kilometerlanger Baustellen mit Ewigkeits-Charakter und stetig wachsende Staus“.

Die Behörde soll für Planung, Bau und Instandhaltung der Straßen zuständig sein. Dabei könne sich Deutschland die österreichische Infrastruktur-Gesellschaft ASFINAG zum Vorbild nehmen, die auch die Maut erhebe, sagte Nehm der Deutschen Presse-Agentur am Rande des Kongresses: „Da hat sich gezeigt, dass eine Behörde den Überblick hat und schlagkräftig ist.“

Dashcams als Beweismittel

Steht dem Verkehrsgerichtstag vor: Ex-Generalbundesanwalt Kay Nehm
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Nach einer aktuellen Studie des Automobilclubs ACV würde fast die Hälfte der Befragten eine Minikamera im Auto anbringen, wenn die Nutzung gesetzlich eindeutig geregelt und legal wäre. Sie hoffen, sich damit vor falschen Anschuldigungen im Schadenfall schützen und einen Unfallhergang rekonstruieren zu können.

Forderung des Verkehrsgerichtstags: Aufnahmen mit Minikameras (Dashcams) sollen "anlassbezogen" zulässig sein, etwa bei einem drohenden Unfall. Ansonsten sollen sie nach kurzer Zeit automatisch überschrieben werden. Der Missbrauch der Aufzeichnungen, etwa durch eine Veröffentlichung im Internet, soll bestraft werden.

„Idiotentest“ schon bei 1,1 Promille?

Wer betrunken im Straßenverkehr unterwegs ist, verliert den Führerschein und muss zur Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU), dem sogenannten Idiotentest. Nach einem jahrelangen Rückgang der MPU-Zahlen rechnen Fachleute jetzt mit einer deutlichen Zunahme. Der Grund: Die Grenze, ab der erstmals erwischte Kraftfahrer zur MPU müssen, könnte von 1,6 auf 1,1 Promille sinken.

Da in einigen Ländern schon jetzt die niedrigere Promille-Grenze gilt, herrsche in Deutschland Rechtsungleichheit, beklagt Nehm. Die Experten fordern daher: Alkoholsünder sollen den Idiotentest schon ab einem Promillewert von 1,1 absolvieren müssen. Die aktuelle Grenze liegt in den meisten Bundesländern bei 1,6 Promille, in anderen wird die 1,1-Promille-Grenze bereits angewendet.

Pusten statt Blutprobe?

Ein Schwerpunkt des Verkehrssicherheitstages: Alkohol am Steuer. Polizeigewerkschafter wollen die zeitaufwändigen Blutproben für Alkoholsünder abschaffen. Sie halten die Atemalkoholanalyse für ausreichend. Der Verkehrsgerichtstag spricht eine andere Empfehlung aus: Entgegen den Forderungen der Polizei soll es bei der Blutprobe für Alkoholsünder im Straßenverkehr bleiben. Jenseits von 1,1 Promille sei der Atemalkoholtest zu unsicher und kein ausreichendes Beweismittel.

Ist "Pusten" gerichtsfest? Nein, sagen die Rechtsexperten. Die Blutprobe müsse weiter das vorgeschriebene Beweismittel sein
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Alkohol- statt Blitzmarathon?

Der DAV rät der Polizei, künftig statt sogenannter Blitz-Marathons auf der Jagd nach Temposündern lieber Puste-Marathons zu veranstalten, um Alkoholsünder zu erwischen. Denn die Hauptursache für Verkehrsunfälle sei nicht die Überschreitung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit, sondern Alkohol am Steuer, sagte der Vorsitzende der DAV-Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht, Jörg Elsner.

Bessere Lehrer, schnellere Prozesse, Schadensersatz

Fahrlehrer sollen nach dem Willen des Kongresses künftig in ihrer Ausbildung mehr pädagogische Kompetenzen erwerben. Kandidaten müssen statt wie bisher einen Hauptschulabschluss mindestens einen mittleren Bildungsabschluss haben. Die Fahrlehrerlaubnis sollen sie dafür aber schon mit 21 Jahren bekommen können.

Weil Zivil-Verkehrsprozesse oft langwierig sind, sollen sich Richter und Anwälte nach Vorstellung des Verkehrsgerichtstags spezialisieren. Bei einzelnen Gerichten sollen zudem besondere Kammern für Verkehrsrecht eingerichtet werden, die dann auch überörtlich tätig sein sollen.

Die Berechnung des Verdienstausfalles für Verkehrsopfer ist komplex und oft fehlerhaft. Fachanwälte sollen deshalb in der Ausbildung darauf vorbereitet werden. Die Gerichte sollen bei Schäden ab einer bestimmten Größenordnung spezialisierte Kammern einsetzen.

Die Nutzung von Dashcam-Aufnahmen vor Gericht wollen die Experten zwar zulassen. Im Regelfall sollen die Daten jedoch schnell gelöscht werden
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Steht dem Verkehrsgerichtstag vor: Ex-Generalbundesanwalt Kay Nehm
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Ist "Pusten" gerichtsfest? Nein, sagen die Rechtsexperten. Die Blutprobe müsse weiter das vorgeschriebene Beweismittel sein
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