Porsche 911 Turbo S Fahrbericht

Eine schnelle Geschichte über Glück

Timo Friedmann

verfasst am Mon Sep 02 00:32:11 CEST 2013

Kein Auto auf dieser Welt kann, was dieser Porsche Turbo S kann, findet MT-Redakteur Timo Friedmann nach seiner Runde im 560-PS-Renner. Auch, weil er mit allen Rädern lenkt.

Ein Flügel wie selten zuvor. In Stufe 1 verbessert er die Strömungslinie, in Stufe 2 presst er den Hintern zu Boden

Was ist Glück? „Es ist verschwenderisch, aber unbeständig,“ befand der griechische Philosoph Demokrit schon vor 2.400 Jahren. Kluger Mann.

Glück ist eine Currywurst nach durchtanzter Nacht. Glück ist Sonne nach Tagen mit pausenlosem Regen. Glück ist ein voller Tank und eine leere Autobahn. Glück ist flüchtig. Glück ist ein Turbo. 1.307 Kilometer zeigt die Kilometeranzeige des Tachos, die Anzeige reicht bis 350 km/h. Sechs Brennräume in Boxeranordnung setzen 560 PS frei. Die Literleistung liegt bei 147,4 PS. Das ergibt 3.800 cm³ Hubraum.

Pures Glück aus sechs Zylindern

Einen Porsche Turbo S Baujahr 2013 zu fahren, das ist pures, wundervolles Glück. Die Finger umkrallen den Lenkradkranz, in den Unterarmen spannen sich die Muskeln. Zünden, Straße frei, los.

Der Porsche-Kompromiss: Technisch muss ein Auto so viele Schalter für Fensterheber, Navi, Telefon und anderen Klimbim haben. Puristen wünschen sich weniger Schalter
Und dann beginnt der Rausch, erfasst Dich und reißt Dich mit, hinfort. Weil da nichts mehr ist, was Dich hält. Nur der Turbo, der Dich beschleunigt.

Mit Allradantrieb, mit 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe, mit Performance-Pneus. In 3,1 Sekunden rast das Auto auf 100, doch die Zahlen verschwimmen, flüchtig wie der erste Kuss. 10,3 Sekunden, der Turbo fährt 200, 40 Sekunden, die Tachonadel gleitet über die 300er-Marke.

Glücksmaschine, Fitnesscenter

Jeder Zylinder im Turbo hat 0,633 Liter Volumen. Das Kraftstoff-Luft-Gemisch bekommt zusätzlichen Atem von zwei Turboladern. Die einzigen mit variabler Schaufelrad-Geometrie in einem Benziner.

Die Linie ist weicher, das Auto wirkt feiner. Man ahnt die Kraft, aber man erkennt vor allem die Schönheit des Designs
So wie das Super Plus in die Brennräume schießt, rast das Endorphin durch die Blutbahnen. Vom Kopf in die Schultern, die Arme, den rechten Fuß, das linke Bein, mitten ins Herz. Wer ein Auto mag, und sei es nur ein geschundener Ford Fiesta XR2i von 1990, der kann nicht anders, als diesen Turbo zu lieben.

Diese Glücksmaschine. Dieses Fitnesscenter.

Sanft wie ein Papierflieger

Zum Beispiel, wenn die Backen die dreieinhalb Zentimeter dicken Keramikbremsen packen, der Turbo ent-, aber dein Körper noch beschleunigt. Die Gurte werden hart wie Stahl und umschließen den Rumpf wie ein Korsett. Das Auto rollt Richtung Stillstand – und dann das: Der Motor schaltet auf stumm und das Kraftpaket gleitet leise wie ein Papierflieger. Gerade noch Turbo-Säufer, jetzt Pusteblumen-Porsche

Das ist ein Zuffenhausener Sportwagen im Jahr 2013. Diese Dualität kennzeichnet den Turbo. Wie kein anderes Auto der Welt flitzt der Turbo zwischen den Anforderungen von Fahrer und Straße hin und her. Das ist das Einzige, was er noch schneller kann als Beschleunigen.

Das richtige Auto für Tante Hildegard

So hat der Turbo auch eine sanfte, eine alltagstaugliche Seite. Dann liest sich die Geschichte so: Einsteigen, Zünden, Schaltung auf D, losrollen. Am Steuer Tante Hildegard, 72, auf dem Weg zum Sohn, zum Kardiologen.

Schön zu sehen: Der hier ausgefahrene Gummi-Frontspoiler. Er wird mit Luft aufgepumpt, die Gummi-Mischung wurde aufwändig entwickelt
Komfortabel fährt der Turbo dann, ohne grölenden Motor, ohne stoßbereite Dämpfer, ohne Sport-Plus-Donner aus dem Auspuff. Ganz friedlich, fast wie eine Mercedes S-Klasse aus dem benachbarten Sindelfingen. Auch für diese Tante hat Porsche die Allradlenkung eingebaut. Weil genau dieses Detail, das Honda schon 1987 im Prelude und BMW aktuell in 5er- und 7er-Baureihe einbaut, den Charakter des Autos kennzeichnet.

Die Allradlenkung verkürzt den Radstand - gefühlt

Technisch funktioniert das so: Stellmotoren drehen die Hinterräder bis Tempo 50 km/h um 2,8 Grad gegen die Lenkrichtung der Vorderräder. So schrumpft der Wendekreis des Autos (auf 10,6 Meter) und damit der Aufwand beim Rundendrehen in der Stadt.

Ab 80 Stundenkilometern hingegen dreht sich das Ziel der Technik. Dann lenken die Räder 1,5 Grad in die gleiche Richtung wie die Vorderräder. Bei sehr hohem Tempo fährt das Auto in Kurven viel stabiler, der Grenzbereich verschiebt sich nach oben. Das ist beeindruckend zu erfahren, weil der Wagen so schnell ist aber nie schwer wirkt. Trotz 20-Zöllern. Trotz 1.605 Kilogramm Eigengewicht. Theoretisch viel zu viel für einen Sportwagen.

Die Nordschleife kennt keine Marken oder Namen

Ein Auto, so verdammt rasant. Beim Sprinten, aber vor allem vor, in und nach den Kurven. Dann fühlt man die Erfahrung von 50 Jahren Elfer, 40 Jahren Turbo.

Erotik für Turbo-Träumer: Dieses Bild hängt bei gestandenen Kerlen über dem Bett
Wie viele Ingenieure versuchten, mit ihren Blechpretiosen die Balance eines 911ers zu erreichen. Meist vergeblich, auch wenn man das in Modena nicht gerne hört. Doch die Nordschleife kennt keine nationalen Eitelkeiten, keine Marken, keine Namen. Hier legt der Porsche Turbo S eine Zeit vor, die Italiener zittern lässt. 7:24 Minuten soll das Auto mit Perfomance-Reifen brauchen, das wären acht Sekunden fixer als zuvor.

Wie das geht? Indem dieser Turbo die Luft beherrscht. Im Normalmodus hebt sich ab 80 km/h der Heckflügel um 25 Millimeter. Das reduziert den Auftrieb und sorgt für eine effizientere Strömungslinie.

Auf der Nordschleife wechselt das Auto in den Perfomance-Modus. Dann ragt der Flügel 75 Millimeter nach oben und stellt sich 7 Grad in den Wind. Das schafft enormen Abtrieb. Dazu passt perfekt der variable Frontspoiler.

Gummispoiler, die sich bei Tempo selbst aufblasen

Im Stand und bei Stadttempo unsichtbar, blasen sich die äußeren Teile des aus Spezialgummi gefertigten Frontspoilers per Knopfdruck auf. Auf der Nordschleife wird auch das Mittelteil aufgepumpt.

Zusammen sorgt das aerodynamische Flügel-Duo für bis zu 132 Kilogramm Abtrieb. Für einen kleinen Extra-Bumms sorgt im Sport-Plus-Modus die Fähigkeit, den Turboladedruck ab und an für 20 Sekunden um 0,15 bar auf 1,35 bar zu erhöhen. Das Auto nutzt dann kurzzeitig 750 Newtonmeter statt 720 Newtonmeter Drehmoment.

Der geneigte Leser weiß spätestens jetzt: dieses Auto ist eine Leistungsschau der besten Ideen aus Zuffenhausen. Mit Start-Stopp-Technik, die segeln lässt. Mit dem sich dem Einsatzzweck anpassenden Flügelwerk, Allrad, Allradlenkung, Doppelkupplung, Hinterachs-Sperre (elektronisch), dem wassergekühlten Vorderachsgetriebe, dynamischen Motorenlagern, Keramik-Bremsen und LED-Scheinwerfern.

Für Rennfahrer und Wichtigtuer

Das macht was her, im Golf-Club oder im Yachthafen. Und damit selbst die Blödesten erkennen, hier kommt kein 911er, hier kommt ein Turbo, zeigt das Top-Modell hinten Kotflügel breit wie nie zuvor. Sie überragen die vorderen um insgesamt 8,5 Zentimeter.

Das 3,8-Liter-Kunstwerk. Kompakter hat noch keiner serienmäßig 560 Pferde verpackt
So ist der Porsche auch ein Protz. Kein Auto nur für Rennfahrer, sondern auch eines für Wichtigtuer. Da passt der Preis von 195.256 Euro für den Turbo S. Und da gibt es passende Extras auf 47 weiteren Seiten der Preisliste.

Shopping, sagen Psychologen, löst kurzfristig auch ein Gefühl aus, dass dem Glück sehr nahe kommt.

 

Epilog:

Nicht alles, was wir zum Turbo wissen, konnten wir hier aufschreiben. Darum haben wir die Pressemappe des neuen Turbo und des neuen Turbo S hier verlinkt. Dort steht auch, dass das Auto laut NEFZ-Verbrauch nur 9,7 Liter schluckt. Ein amüsanter, unerreichbarer Wert.

Technische Daten: Porsche 911 Turbo S

  • Motor: 3,8-Liter-Bi-Turbo-Sechszylinder-Boxer
  • Getriebe: 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe
  • Leistung: 560 PS
  • Verbrauch: 9,7 l/100 km
  • CO2: 227 g/km
  • 0 – 100 km/h: 3,1 s
  • Höchstgeschwindigkeit: 318 km/h
  • Länge x Breite x Höhe in m: 4,50 x 1,88 x 1,30
  • Radstand: 2,45 m
  • Kofferraum: 115 (vorne) + 260 (hinten) l
  • Preis: 195.256 Euro

Die Legende: Der erste Turbo hatte 260 PS und kostete 65.800 Mark. Er galt als giftig, wenn der Turbo wie ein Hammer einsetzte
Der Porsche-Kompromiss: Technisch muss ein Auto so viele Schalter für Fensterheber, Navi, Telefon und anderen Klimbim haben. Puristen wünschen sich weniger Schalter
Fünf Anzeigen, von denen eine für verschiedene Inhalte genutzt wird. Es ist die Zweite von rechts
Die Linie ist weicher, das Auto wirkt feiner. Man ahnt die Kraft, aber man erkennt vor allem die Schönheit des Designs
Hinten breit: Um 8,5 Zentimeter überragen die hinteren Kotflügel die vorderen in der Breite
Ein filigranes Kunstwerk, das zum Glück auch auf Knopfdruck ausfährt. Sonst würde man den Spoiler als Fahrer nie sehen
Beim Top-Modell Turbo S sind die 20-Zoll-Räder mit Zentralverschluss ein Teil der Serienausstattung
Schön zu sehen: Der hier ausgefahrene Gummi-Frontspoiler. Er wird mit Luft aufgepumpt, die Gummi-Mischung wurde aufwändig entwickelt
Ab 80 km/h hebt sich der Heckflügel um 25 Millimeter. Das optimiert den Strömungsverlauf der Luft und senkt so den Verbrauch des Wagens
Erotik für Turbo-Träumer: Dieses Bild hängt bei gestandenen Kerlen über dem Bett
Das 3,8-Liter-Kunstwerk. Kompakter hat noch keiner serienmäßig 560 Pferde verpackt
Die Allradlenkung: Die Hinterräder drehen sich um 2,8 Grad entgegen der Lenkrichtung der Vorderräder. Das wirkt wie ein verkürzter Radstand, das Auto fährt handlicher und funktioniert so beim Turbo bis Tempo 50