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Hintergrund: VWs Abgas-Skandal in den USA - Die wichtigesten Fakten zu VWs Diesel-Debakel

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Kurz vor Winterkorns Vertragsverlängerung beruft der VW-Aufsichtsrat eine Krisensitzung ein. Lest hier, welche Folgen der Abgas-Skandal für Konzern und Chef haben könnte.

Martin Winterkorn auf der IAA 2015. Am 25. September soll eigentlich der Vertrag des VW-Chefs verlängert werden. Kurz vorher trifft sich der Aufsichtsrat zum Krisentreffen Martin Winterkorn auf der IAA 2015. Am 25. September soll eigentlich der Vertrag des VW-Chefs verlängert werden. Kurz vorher trifft sich der Aufsichtsrat zum Krisentreffen Quelle: picture alliance / dpa

Wolfsburg - Vor rund einem halben Jahr lieferten sich die beiden mächtigsten Männer im VW-Konzern einen erbitterten Machtkampf. Damals ging Martin Winterkorn als Sieger hervor - und erschien stärker denn je. Kurz vor seiner Vertragsverlängerung stürzt der Abgas-Skandal in den USA den Manager erneut in die Krise.

"Die gegen VW in den USA erhobenen Vorwürfe wiegen schwer. Eine Manipulation von Emissionstests ist völlig inakzeptabel und durch nichts zu rechtfertigen", sagte Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Kontrolleur Stephan Weil (SPD) am Montag in Hannover.

Eine Sprengkraft wie die umgekippte A-Klasse

Auch der mächtige Chef des Konzernbetriebsrates, Bernd Osterloh, forderte umgehend Aufklärung und Konsequenzen. Zugehörige Namen hörte man zunächst nicht - ein Zeichen mehr dafür, dass die Lage ernst ist?

Insider vergleichen die mögliche Sprengkraft des Skandals mit dem legendären "Elchtest" des Konkurrenten Mercedes. 1997 kippte eine A-Klasse bei einem Fahrtest nach einem Lenkmanöver um und überschlug sich. In der Folge stoppte der damalige Konzernchef Jürgen Schrempp die Auslieferung der Fahrzeuge und ließ sie überarbeiten - es kostete den Autobauer Millionen und viel Vertrauen. Immerhin: Es rollten damals keine Köpfe an der Stuttgarter Konzernspitze.

Bislang keine Rückendeckung für Winterkorn

Ob Winterkorn die Diesel-Krise unbeschadet übersteht? Demonstrative Rückendeckung aus dem Präsidium - wie etwa während des Machtpokers mit Patriarch Piëch im Frühjahr - gibt es für den 68-Jährigen zumindest bisher nicht. Der Skandal kommt für den VW-Chef zu eine sehr ungünstigen Zeit: Seine Zukunft an der Konzernspitze scheint erneut ungewiss.

"Die nächsten zwei, drei Tage sind entscheidend", heißt es aus gut informierten Kreisen. Zunächst scheint das Vertrauen im alles überragenden Präsidium des VW-Aufsichtsrates in Winterkorn ungebrochen - der massive Kursverlust an der Frankfurter Börse von zwischenzeitlich fast 20 Prozent sei kein Maßstab: "Die entscheidende Frage ist jetzt, ob noch mehr Hiobsbotschaften aus den USA kommen."

Aufsichtsrat kündigt Krisentreffen an

Aus dem Konzern hieß es bereits, der engste Zirkel der Aufseher werde am Mittwoch ein Krisentreffen abhalten. Am Freitag darauf sollte der Aufsichtsrat nach bisherigem Plan Winterkorns Vertrag verlängern.

Winterkorn selbst scheint nicht vor der Krise weichen zu wollen. Sein Statement am Sonntag zeige klar, dass er Verantwortung übernehmen wolle und sich zutraue, das Problem zu lösen, sagen Branchenkenner. Erst wenn "maßgebliche Personen aus dem Aufsichtsrat" Zweifel an "Wikos" Fähigkeiten als Krisenmanager bekommen sollten, dürfte es für den Schwaben eng werden. Stattdessen stünde zunächst der erst seit Anfang 2014 amtierende US-Chef von Volkswagen, Michael Horn, in der Schusslinie.

Wusste Winterkorn von der Manipulation?

Die große Frage bleibt: Was wusste "Wiko"? Der passionierte Techniker Winterkorn hätte ob der besseren Abgaswerte in den USA zumindest stutzig werden können. Denn der Manager ist zugleich Chef der Entwicklungsabteilung. Damit hätte er über die Manipulations-Software in den USA informiert sein können, meint etwa Autofachmann Ferdinand Dudenhöffer.

Winterkorn habe also entweder von den Manipulationen gewusst - oder sei ahnungslos und habe seinen Geschäftsbereich nicht im Griff, sagte der Direktor des CAR-Instituts an der Universität Duisburg-Essen der "Frankfurter Rundschau". [b]"In beiden Fällen würde ich sagen, dass Winterkorn an der Konzernspitze nicht mehr tragbar ist." Mit dieser Meinung ist er nicht allein - auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) legt Winterkorn den Rücktritt nahe.

2015: Winterkorns Krisenjahr

Damit bleibt 2015 Martin Winterkorns Krisenjahr. Kaum hat der erfolgsverwöhnte VW-Chef den Machtkampf mit Piëch im Konzern überstanden, verlangt ihm die nächste große Krise alles ab.

Und nicht nur ihm. Knapp zwei Monate vor dem Weltklimagipfel in Paris könnte der Umweltskandal auch andere Hersteller gefährden. Prompt verlangt die Umweltorganisation BUND die übergreifende Überprüfung sämtlicher Diesel-Modelle neuerer Bauart. Auch die Bundesregierung und die EU-Kommission fordern Informationen, um mögliche Manipulationen bei Abgastests "lückenlos" untersuchen zu können.

PR-Unfall der Extraklasse

Den Skandal werten Analysten als PR-Unfall der Extraklasse. Fast genau zehn Jahre nach der VW-Affäre um Schmiergelder und Lustreisen auf Firmenkosten könnten die Manipulationen den Konzern nachhaltig erschüttern. Denn über den US-Markt hinaus ist der Ruf der Dieseltechnologie als vergleichsweise umweltfreundliche Antriebstechnik auf einmal mit Fragezeichen versehen. Zumal eine Kernfrage noch offen ist: Wurde die Software auch genutzt, um in Europa Öko-Standards vorzugaukeln, die man gar nicht erfüllen kann?

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