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Bugatti Chiron: Ortsbesuch in Molsheim - Der Superlativ der Superlative

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Der Bugatti Chiron muss auf Flugzeug-Prüfständen getestet werden, die Reifen überleben in der Spitze 490 km/h. Ortstermin beim Super-Supersportler aus dem VW-Konzern.

Höher, schneller, weiter: Zuerst legten die Entwickler fest, wie schnell der Chiron werden soll. Daraus ergab sich der Rest Höher, schneller, weiter: Zuerst legten die Entwickler fest, wie schnell der Chiron werden soll. Daraus ergab sich der Rest Quelle: Bugatti

Molsheim – Im Autoquartett ist alles ganz einfach. 1.500 PS, erster. Für die Entwickler des stärksten Seriensportlers der Welt war vieles schwierig. Es gab zum Beispiel keinen Motorenprüfstand, auf dem man so ein Monstrum testen kann. Dann braucht ein Bugatti Reifen, die knapp 500 km/h Topspeed schaffen – gibt’s auch nicht von der Stange. Ganz schön kompliziert.

Nach vier Jahren Entwicklungszeit bringt Bugatti im Herbst den Chiron, als Nachfolger des insgesamt 450-mal gebauten Veyron. War der Veyron schon teuer (ab 1,2 Millionen Euro), stark (bis 1.200 PS) und schnell (Rekordhalter mit 431 km/h), wird ihn der Chiron in allen Belangen übertreffen.

Der Bugatti Chiron wird schneller, teurer und stärker als der Vorgänger Veyron Der Bugatti Chiron wird schneller, teurer und stärker als der Vorgänger Veyron Quelle: Bugatti Das war von vornherein der Plan: „Am Anfang stand die Maximalgeschwindigkeit“, sagt Entwicklungsleiter und Bugatti-Geschäftsführer Willi Netuschil. „Daraus ergaben sich die notwendige Leistung und das Drehmoment in Abhängigkeit vom Luftwiderstand.“

Wenn das 16-Zylinderaggregat mit Registeraufladung loslegt, fängt die Elektronik den Fahrer erstmals bei Tempo 380 ein. Wem bis dahin nicht die Luft weggeblieben ist, der kann mittels „Speed-Key“, einem speziellen Schlüssel, die Raserei bis 420 km/h treiben. Hier greift abermals der Begrenzer. Dann sind noch Reserven von 250 PS übrig.

Reifen bis 490 Spitze

Genug, um den Veyron-Rekord zu übertreffen. Die Vorbereitungen laufen. Wie schnell der Chiron dann fahren soll, ist noch geheim. Die speziell für den Chiron entwickelten Michelin-Reifen sind bis 470 km/h getestet, in der Spitze bis 490 km/h. Auf einem Reifenprüfstand für Flugzeuge, denn „kein Pkw-Prüfstand schafft diese Geschwindigkeiten“, so der Leiter Fahrwerksentwicklung, Jachin Schwalbe.

95 Prozent des W16-Motors mit acht Litern Hubraum und vier Turboladern sind neu. Die rund zwei Drittel größeren Abgasturbolader werden jetzt zweistufig aufgeladen, so dass der Fahrer das volle Drehmoment (1.600 Nm) früh (ab 2.000 U/min) und lange (bis 6.000 /Umin) spürt. „Die beste Möglichkeit 1.500 PS zu kontrollieren ist, wenn die Leistungskurve möglichst linear verläuft“, erklärt Netuschil. Drei neue Motorenprüfstände wurden eigens für das Chiron-Triebwerk entwickelt.

Grundsätzlich ist eine Elektrifizierung für die Bugatti-Entwickler in Zukunft denkbar, allerdings nicht, um Sprit zu sparen: „Wenn wir eine solche Technologie adaptieren würden, dann um auch eine höhere Maximalgeschwindigkeit zu erreichen“, sagt Chef-Entwickler Netuschil.

Für das neue, 436 Kilo schwere Aggregat mussten alle anderen Fahrzeugteile abspecken. „Mit Leichtbau am ganzen Auto kompensieren wir das Mehrgewicht, das durch mehr Leistung und Drehmoment entsteht“, so Netuschil. Motorblock aus Aluminium, Pleuelstangen und Abgasanlage aus Titan, Saugrohr, Monocoque und Hinterwagen aus Carbon sind nur einige Beispiele. Das einzige nicht gewichtsoptimierte Teil am Chiron ist das Logo im markentypischen Hufeisen: Es ist aus massivem Silber.

Aus dem Vollen gefräst

Flankiert wird das Logo von den flachsten Voll-LED-Scheinwerfern im Autobau, die acht Leuchtquadrate sind neun Zentimeter hoch. „In einer Zeit, in der automobile Tagfahrlichtsignaturen zunehmend modisch erscheinen, haben wir mit dem Acht-Augen-Gesicht eine eindeutige und zeitlose Identität geschaffen“, findet Chefdesigner Achim Anscheidt.

Bugatti Chiron Detail: Instrumententafel mit Analog-Tacho Bugatti Chiron Detail: Instrumententafel mit Analog-Tacho Quelle: Bugatti Die Mittelfinne zieht sich über das gesamte Auto bis ins Heck, als Reminiszenz an den Vorkriegswagen Atlantic. „Sowohl für unsere Kunden als auch für uns Designer ist es wichtig, dass ein Bugatti eine stilistische Langlebigkeit besitzt und auch in zehn oder gar 50 Jahren als wertvoll wahrgenommen wird“, so Anscheidt.

Den bleibendsten Eindruck hinterlässt das Heck mit seiner umlaufenden Abrisskante. Das sorgt auch dafür, dass während der Fahrt ein Sog entsteht, der im Motorraum angestaute Luft abführt. „Wir hatten sehr viel Platz, das Drama zu erschaffen, das dem Auto gebührt“, strahlt Designer Sasha Selipanov. Ein wenige Millimeter hohes, 1,60 Meter breites Lichtband mit 82 roten LEDs dient als Schlussleuchte, eingefasst in Aluminium. „Dieses Detail war einfach zu zeichnen, aber unfassbar kompliziert in der Produktion“, so Selipanov. Schlussendlich wird nun die Alu-Spange aus einem vollen Block gefräst.

Genauso aufwändig entstehen die Aluminium-Teile für den Innenraum, wie das Lenkrad und das Metallband in der Mittelkonsole. Im kompletten Innenraum gibt es kaum Plastik. Nur am Anschnallgurt musste aus Sicherheitsgründen Kunststoff verwendet werden. Alles, das nach Metall, Leder oder Carbon aussieht, ist es auch.

Bloß nicht ablenken lassen

Der Fahrer blickt neben dem analogen Tacho auf zwei digitale Anzeigen, die er über Lenkradtasten bedient. Die Mittelkonsole bleibt frei von jeglicher Ablenkung – besser so: „Bei 300 km/h und mehr wollen Sie Ihre Hände nicht vom Lenkrad und den Blick nicht von der Straße nehmen, um auf einen Bildschirm in der Mittelkonsole zu tippen“, erklärt Simon Wägener, Leiter Elektrik und Eletronik. „Wir haben das Fahrer-Cockpit so konzipiert, dass man alle wesentlichen Funktionen vom Lenkrad aus steuern kann.“

Der Bugatti Chiron braucht höchst spezielle Reifen. Die Michelin-Pneus wurden, so weit es möglich war, an die Belastungen des Supersportwagens angepasst Der Bugatti Chiron braucht höchst spezielle Reifen. Die Michelin-Pneus wurden, so weit es möglich war, an die Belastungen des Supersportwagens angepasst Quelle: Bugatti Ein so exklusives Auto darf natürlich keine Stangenware sein. Wer einen Chiron bestellt, dem hilft deshalb ein Bugatti-Designer bei der Auswahl. Auf Wunsch wird zum Beispiel das Sitzleder an die Handtasche der Ehefrau angepasst.

Nach vielen hundert Stunden Handarbeit wird jeder fertige Chiron etwa 350 Kilometer auf der Straße getestet, unter anderem auf einem Flugplatz mit mehr als 300 km/h. Danach werden Reifen, Getriebeöl und Unterboden ausgetauscht. Erst dann geht das Auto in die Auslieferung. Der Lack ist auf der Testfahrt extra geschützt.

Analog wegen der Fans

500 Exemplare wird es vom Chiron geben. Etwas mehr als 200 sind bereits verkauft, bis zu vier Jahre beträgt die Lieferzeit. Wer gibt so lange im Voraus mindestens 2,4 Millionen Euro netto aus? Produktionsleiter Christophe Piochon: „Besitzer von Luxusautos jubeln ihrem Lieblingsverein aus ihrer eigenen Loge zu. Bugatti-Kunden besitzen ihren Lieblings-Fußballclub.“ Die Garage des durchschnittlichen Bugatti-Käufers ist gut gefüllt. Im Schnitt besitzt jeder 42 Fahrzeuge. Und 2,7 Privatjets, 1,2 Yachten, 3,2 Helikopter und 4,6 Immobilien.

Wer den Bugatti Chiron irgendwo parken sieht, sollte einmal durch das Fahrerfenster ins Cockpit schauen. Dort ist als Attraktion der einzige Serien-Tacho zu sehen, der bis 500 km/h reicht. Und der genau deshalb auch analog und nicht digital funktioniert. Dann wäre der Geschwindigkeitsmesser im Stand nämlich schwarz, und das Plattdrücken der Nase an der Scheibe würde zur Enttäuschung. An was ein Bugatti-Entwickler alles denken muss.

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Quelle: SP-X (Hanne Schweitzer)

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