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Autobahnkirchen in Deutschland - Ausfahrt zur Einkehr

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Ihr Umfeld lädt eigentlich nicht zum Verweilen ein. Dennoch tanken jährlich rund eine Million Menschen Trost und Kraft in einer der 42 deutschen Autobahnkirchen.

Die Ikonische: Die Silhouette der Autobahnkirche Siegerland ist der grafischen Darstellung auf Autobahnschildern nachempfunden Die Ikonische: Die Silhouette der Autobahnkirche Siegerland ist der grafischen Darstellung auf Autobahnschildern nachempfunden Quelle: picture alliance / dpa

Kassel - Auf der Autobahn kam das deutsche Wirtschaftswunder in Schwung: bei Geschäftsreisen in den Schwarzwald, Sonntagsausflügen in die Eifel und Familienreisen an die italienische Adriaküste. Nach den düsteren Jahren der Weltkriege befanden sich Bundesbürger plötzlich auf der Überholspur.

Gleichzeitig entstanden Orte der Entschleunigung: 1958 eröffnete im bayerischen Adelsried an der A 8 zwischen München und Stuttgart die erste deutsche Autobahnkirche. Weitere folgten. Heute gibt es 42 deutsche Autobahnkirchen. Und sie dienen längst nicht mehr nur der inneren Einkehr, sondern sind auch ein beliebtes Ausflugsziel für Liebhaber sakraler Kunst und Architektur.

Die Jüngste:

Erst vor kurzem ist die Zahl der deutschen Autobahnkirchen auf 42 gestiegen: Jüngstes Mitglied in der Gemeinschaft der Gotteshäuser am Wegesrand ist seit dem 22. Juni 2014 die Dorfkirche Die Jüngste: Die ehemalige Dorfkirche Zeestow wurde erst im Juni 2014 wiedereröffnet und ist die 42. Autobahnkirche in Deutschland Die Jüngste: Die ehemalige Dorfkirche Zeestow wurde erst im Juni 2014 wiedereröffnet und ist die 42. Autobahnkirche in Deutschland Quelle: picture alliance / dpa Zeestow am Berliner Ring. Die ehemalige Pfarrkirche Zeestow wurde bereits Mitte des 19. Jahrhunderts errichtet, allerdings seit den 1980er Jahren nicht genutzt. 2011 wurde dann eine Sanierung und eine Nutzung als Autobahnkirche beschlossen.

Heutiges Prunkstück ist der Bilderzyklus "Die Berufenen", mit der der Maler Volker Stelzmann den Obdachlosen im Westen der Republik ein Denkmal setzte, in dem er zwölf von ihnen porträtierte. Die Zahl

kommt nicht von ungefähr, ist das Werk doch eine Reminiszenz an die Jünger Jesu - und ein guter Grund, die A 10 an der Ausfahrt Brieselang oder Spandau für eine Stippvisite zu verlassen (Autobahnkirche Zeestow, Wustermarker Straße).

Die Ikonische:

Mitten im Siegerland, am Autohof Wilnsdorf, klaffte bis 2011 eine Lücke. Nicht nur in der Landschaft, sondern auch in dem sonst engmaschigen Netz der Autobahnkirchen in Deutschland. Das erkannte zuerst das Ehepaar Hanneliese und Hartmut Henning, die sich nach einem Bayernurlaub im Jahr 2009 und dem dortigen Besuch einer Autobahnkirche auch ein solches Gotteshaus für ihre Heimat wünschten. Deshalb gründeten die beiden einen Förderverein. 2011 erfolgte der Spatenstich und seit 2013 steht die Autobahnkirche Siegerland allen Reisenden offen.

Doch es kommen nicht nur Gläubige hier her, sondern auch viele Architekturbegeisterte: Für die schnörkellose Fassade, deren Silhouette der grafischen Darstellung von Kirchen auf Autobahnschildern nachempfunden ist, gewann das verantwortliche Architektenbüro schneider+schumacher den "best architects"-Preis 2014 (Autobahnkirche Siegerland, Ute Pohl, www.autobahnkirche-siegerland.de.)

Die Quadratische:

Von fern wirkt die ökumenische Emmauskapelle in Engen fast wie ein Dampfer auf großer Fahrt, tuckernd durch das Hügelmeer des Konstanzer Lands. Der von einer hohen Betonmauer eingefasste Patio bildet den Rumpf, an den das quadratische, hoch aufragende Hauptgebäude als Brückendeck anschließt. Vorneweg bildet ein 13 Meter hohes Kreuz den Mastbaum des Kirchenschiffs. Der Sakralraum im Innern führt das Spiel der geometrischen Formen fort: Auf der Stirnwand leuchtet Besuchern ein raumhohes und -breites Kreuz entgegen.

Einziges Zugeständnis an die Sehnsucht Reisender nach ein wenig Wärme und Geborgenheit ist eine kleine, bunte Holz-Pieta aus dem 16. Jahrhundert. Ansonsten finden die Besucher hier, an der A 81 zwischen Die Schräge: Das um 45 Grad geneigte Glasdach ist der zentrale Blickfang der Autobahnkirche Medenbach Die Schräge: Das um 45 Grad geneigte Glasdach ist der zentrale Blickfang der Autobahnkirche Medenbach Quelle: dpa/Picture Alliance Stuttgart und Singen, vor allem ein Gotteshaus vor, das in seiner Schlichtheit Pilgerstätte für Architekturliebhaber von nah und fern geworden ist (www.autobahnkapelle-hegau.de).

Die Schräge:

Gleich einer Startrampe zu höheren Sphären ragt das 45-Grad-Glasdach der Autobahnkirche Medenbach in den Himmel über der A 3 zwischen Köln und Frankfurt: Sonne, Mond, Wolken und Sterne würden so in den Kirchenraum mit einbezogen, hieß es in dem vom Architekten Hans Waechter eingereichten Entwurf aus dem Jahr 2000. Die blaue Färbung des Glases, das eine abstrakte Auferstehungsszene des Künstlers Nikolaus Gerhart ziert, tut ein Übriges für die sakrale Wirkung des Ortes. Er ist spürbar der inneren Einkehr, dem Gebet und der Meditation gewidmet.

Die Innenausstattung ist ebenso schlicht wie würdevoll, die Besucher nehmen auf einfachen Holzquadern mit Rückenlehnen Platz, das Kreuz über dem Altar bildet der Raum zwischen vier Kunststeintafeln. Und in

der Raummitte symbolisiert ein ausladender Kerzenständer Jesus als Licht des Lebens (www.autobahnkirche-medenbach.de).

Die Trutzige:

Die starken Mauern und kleinen Kirchenfenster der Autobahn- und Gemeindekirche Kavelstorf lassen vermuten, dass sie im 13. Jahrhundert als Wehrkirche und Zufluchtsort der Gemeinde errichtet wurde. Davon sollten sich heutige Reisende nicht abschrecken lassen: Im Innern erweist sich das unweit der A 19 zwischen Berlin und Rostock gelegene Gotteshaus als ein Kleinod norddeutscher Sakralbaukunst.

Hoch aufragende Spitzrundbögen, kunstvoll verziert mit Blumenornamenten, eine antike Holzkanzel und Gemeindebänke machen dieses Gotteshaus auch zu einem lohnenden Ziel für Touristen. Allerdings nur in der Die Älteste: Mit dem Gotteshaus "Maria, Schutz der Reisenden" wurde 1958 die erste deutsche Autobahnkirche errichtet Die Älteste: Mit dem Gotteshaus "Maria, Schutz der Reisenden" wurde 1958 die erste deutsche Autobahnkirche errichtet Quelle: dpa/Picture Alliance Zeit zwischen 8.00 und 20.00 Uhr - danach schließen sich die schweren Kirchentüren wieder (www.autobahnkirche-kavelstorf.de).

Die Älteste:

Der Augsburger Papierfabrikant Georg Haindl war es, der Deutschland die erste Kirche für Reisende auf der Autobahn stiftete. Am 12. Oktober 1958 empfing das Gotteshaus "Maria, Schutz der Reisenden" erstmals Gläubige, die auf der A 8 zwischen München und Stuttgart unterwegs waren. Schon damals setzte der Architekt Raimund Freiherr von Doblhoff auf eine Gestaltung, die gewagter war als bei Kirchen der Zeit üblich: Erinnern Silhouette und Grundriss noch an typisch-bayerische Dorfkirchen, muten die grafische Klarheit der Fassade und der großzügige Einsatz von Glas sehr modern an.

Die Reduktion der Form zeigt sich auch im Innenraum: Der Altarbereich, zu dessen Füßen ein Treppensockel einen Großteil des Sakralraums einnimmt, ist schlicht. Das große Hängekreuz mit Jesusfigur zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Mit dieser Kirche begann nicht nur die Geschichte der Autobahnkirchen in Deutschland - sie war auch wegweisend für eine Sakralarchitektur, die abseits der Gemeinden den Raum für neue Perspektiven eröffnete (www.autobahnkirche.org).

Wikipedia-Bildnachweis:
Frank Vincentz (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons[\size]

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