Land Rover: Autonomes Fahren im Gelände

Hier fährt die Zukunft durch den Dreck

Philipp

verfasst am Wed Jul 13 13:21:31 CEST 2016

Autonomes Fahren auf der Autobahn kennen wir. Land Rover dagegen interessiert, wie man autonom durch den Wald daneben fährt. Wir haben die neueste Technik ausprobiert.

Land Rover testet das autonome Fahren im Gelände: Wir haben es auf dem Testgelände am Entwicklungscenter in Gaydon ausprobiert
Quelle: Land Rover

Gaydon/England – Der alte Series III zieht sich langsam den matschigen Hügel hinauf. Geländeuntersetzung, erster Gang, kein Gas und der Land Rover marschiert gen Gipfel. Der Fahrer muss kräftig am riesigen Dreispeichen-Lenkrad korrigieren, um die 40 Jahre alte Fuhre in der Spur zu halten. „Auf der anderen Seite wird es gleich ziemlich steil runter gehen“, sagt der Instruktor. „Was machen wir, wenn das Auto dann anfängt zu rutschen?“, fragt er. Betretenes Schweigen im Innenraum des 110ers.

MOTOR-TALK-Redakteur Philipp Monse am Steuer des Land Rover Series III: Das Fahren macht Spaß - aber es ist Arbeit
Quelle: Land Rover
"Gas geben" wäre die richtige Antwort gewesen. Normalerweise bremst das Schleppmoment des 73-PS-Vierzylinders den Landy schön langsam den Berg herunter. Gerät er aber unkontrolliert ins Rutschen, hilft nur neue Traktion. Wer in den 70er-Jahren im harten Gelände unterwegs war, musste so etwas wissen. Oder er blieb stecken.

Das Land-Rover-Terrain

2016 wissen viele Menschen nicht einmal mehr, welche Achse ihres Autos angetrieben wird. Geschweige denn, wie der Abstandstempomat in ihrem SUV arbeitet. Autos müssen funktionieren, einfach zu bedienen sein und möglichst von allein über die Autobahn gleiten. Auch bei Land Rover. Mit einem kleinen Unterschied: Die Briten interessiert aus Traditionsgründen auch das automatisierte Fahren im Waldstück neben der Autobahn.

Wir befinden uns auf dem Jaguar-Land-Rover-Testgelände in Gaydon nahe Birmingham und steigen vom alten Series III in einen neuen Range Rover Sport um. Das so genannte "Terrain Response System" ist nichts Neues: Der Fahrer stellt am Lenkrad eine niedrige Geschwindigkeit ein, das System erkennt automatisch verschiedene Untergründe wie Sand oder Schotter. Motor, Getriebe, Mittendifferenzial, Assistenz- und Fahrwerkssysteme passen sich entsprechend an. Kurz: Ein Tempomat fürs Gelände, der Traktionsprobleme einfach löst. Offroad im 21. Jahrhundert.

Der mit dem „Terrain Based Speed Adaption“ genannten System ausgestattete Range Rover Sport hingegen fährt fast von allein. Vor Hindernissen bremst er ab und tastet sich langsam vorwärts. Der Fahrer muss nur noch lenken
Quelle: Land Rover

Der erste adaptive Gelände-Tempomat

Doch der Range Rover Sport, in dem wir jetzt sitzen, kann mehr. Er ist Teil eines Multi-Millionen-Pfund-Forschungsprojekts namens „Autonomous all-terrain driving“ und das wohl erste Auto mit einem adaptiven Gelände-Tempomaten. Das heißt, hier regelt der Computer nicht nur die Traktion, sondern er passt auch die Geschwindigkeit an das Gelände an.

Mit etwas mehr als 20 km/h fahren wir einen Schotterweg entlang und auf eine Gabelung zu. „Rechts“, sagt der Instruktor. „Und nicht bremsen“. Rechts geht es um eine kaum einsehbare Böschung und bergab in eine Kuhle. Selbst ein Rallyefahrer würde hier bremsen.

Der Range Rover verringert leicht die Geschwindigkeit. Von selbst. Plötzlich wird aus dem Weg vor dem Fahrzeug ein tiefes Wasserloch. Spätestens jetzt hebt der Fahrer reflexhaft den Fuß. Doch bevor er ihn auf die Bremse setzen kann, verzögert der Range sanft, rollt langsam an das Wasser heran und durchquert es in aller Ruhe. Der Fahrer muss lediglich das Lenkrad bewegen. Ein Klacks, verglichen mit den ständigen Korrekturen am riesigen Series-III-Steuerrad.

Noch ist die Technik nicht fest im Fahrzeug installiert. Bei unserem Test leistete sie sich aber keinerlei Schwächen
Quelle: Land Rover

Warum soll ein Computer die schöne Arbeit machen?

Technisch wichtigste Komponente für das „Terrain Based Speed Adaption“ genannte System ist eine Stereokamera. Sie erfasst den Boden bis 30 Meter vor dem Fahrzeug. Zusammen mit Daten von Beschleunigungs-, Lenkwinkel-, Park- und Bodensensoren errechnet das System die angemessene Geschwindigkeit.

So kommt der Fahrer möglichst einfach durchs Gelände – und möglichst entspannt. Das System im Prototypen lässt sich bereits einstellen. Feder-Symbole auf einem improvisierten Bildschirm zeigen an, wie sanft es arbeitet. Bei vier Federn soll der Fahrer möglichst wenig spüren, bei zwei Federn wird er ordentlich durchgeschüttelt. Dafür geht es schneller vorwärts.

Echten Offroad-Fans würde in dem Technikwunder wohl selbst dann schlecht, wenn das Display acht Federn zeigt. Denn die würden nie auf die Idee kommen, den Spaß, den man in einem 20 Jahre alten Defender haben kann, einem Computer zu überlassen.

Mit diesem eigens entwickelten Ultraschall-Sensor kann der Land Rover den Boden fünf Meter vor dem Fahrzeug scannen. Per Abgleich mit einer Datenbank wird der entsprechende Untergrund ermittelt. Das Auto kann frühzeitig reagieren
Quelle: Land Rover

Sensoren, Daten, Kameras

Also mal ernsthaft, Land Rover: Wollen Eure Kunden so etwas? Die Antwort auf diese Frage kennt Land Rover selbst wohl nicht. Die Antwort könnte schon bald der Markt geben, in drei oder fünf Jahren vielleicht. Bisher bedeutet das Projekt für die Briten vor allem „Ausprobieren“. Was geht, was funktioniert, was macht Sinn.

An einem anderem Range Rover Sport haben die Ingenieure einen Ultraschall-Sensor installiert, der den Untergrund fünf Meter vor dem Fahrzeug abtastet. Per Abgleich mit gespeicherten Oberflächendaten könnte das „Surface ID“ genannte System sich schon bald vorausschauend auf den Untergrund einstellen – und nicht wie heute nur darauf reagieren.

Zwei weitere Range Rover fahren im Team durch den kleinen Wald auf dem Testgelände. Sie sind über eine drahtlose Verbindung miteinander verbunden. Das führende Fahrzeug des „Offroad Connected Convoy“ kann dem folgenden über einen Kilometer Entfernung Informationen schicken, über Radschlupf, das gewählte Geländeprogramm oder einfach nur große Steine auf der Strecke.

Was die ganze Technik wirklich bringt, zeigt sich in einem Auto der Schwestermarke Jaguar. Per Car-to-Car-Kommunikation warnt der Krankenwagen den Fahrer im XF frühzeitig. In Zukunft könnten Autos mit solchen Informationen autonom Unfälle verhindern
Quelle: Land Rover

Fit für den Verkehr von übermorgen

Derzeit ist das alles noch nicht viel mehr als eine sehr aufwändige Spielerei. Aber schon bald könnte Land Rover mit dieser Car-to-Car-Kommunikation selbst unerfahrene Fahrer über anspruchsvollste Offroad-Pisten lotsen. Interessant - aber auch nützlich?

Was die Technik im Straßenverkehr leisten kann, zeigen die Ingenieure mit einem Jaguar XF. Hier kann das gleiche System den Fahrer schon jetzt vor einem „liegengebliebenen“ Fahrzeug, einem herannahendem Krankenwagen oder vor einer schlecht einsehbaren Baustelle warnen.

In der Zukunft wird der Verkehr in den Großstädten zunehmend automatisiert ablaufen. Technik wie diese könnte dann autonome Fahrzeuge vor Unfällen wie dem des Tesla-Fahrers in Florida schützen, dessen Fahrzeug einen abbiegenden Lkw rammte. Allerdings müsste die Technik dafür markenübergreifend in allen Autos arbeiten. Aber bis es soweit ist, hat der alte Series III aus Gaydon vielleicht schon 40 weitere Jahre auf dem Blech.

MOTOR-TALK-Redakteur Philipp Monse am Steuer des Land Rover Series III: Das Fahren macht Spaß - aber es ist Arbeit
Quelle: Land Rover
Der mit dem „Terrain Based Speed Adaption“ genannten System ausgestattete Range Rover Sport hingegen fährt fast von allein. Vor Hindernissen bremst er ab und tastet sich langsam vorwärts. Der Fahrer muss nur noch lenken
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Wie der Range auf Kuhlen und Bodenwellen reagiert, hängt von der Einstellung des Systems ab. Die Luxusmarke möchte ihren Kunden auch das Fahren im Gelände so angenehm wie möglich gestalten
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Hinten die Vergangenheit, vorn die Zukunft: Der Range empfängt Daten von einem weiteren vorausfahrenden Fahrzeug
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Im sogenannten „Offroad Connected Convoy“ bereitet das vorausfahrende Fahrzeug die folgenden auf Steine, tiefen Sand oder andere Hindernisse vor. In Zukunft könnten diese darauf automatisch reagieren
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Einfacher geht es mit den Range Rover Sport. Ob der alte Landy mehr Spaß macht, lassen wir offen
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Diese zwei Kameras scannen das Gelände vor dem Range. Bis zu 30 Meter kann das Fahrzeug so sehen - und dann die Geschwindigkeit anpassen
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Der Fahrer setzt über das "Terrain Response System" eine Geschwindigkeit. Den Rest erledigt die Elektronik
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Noch ist die Technik nicht fest im Fahrzeug installiert. Bei unserem Test leistete sie sich aber keinerlei Schwächen
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Mit diesem eigens entwickelten Ultraschall-Sensor kann der Land Rover den Boden fünf Meter vor dem Fahrzeug scannen. Per Abgleich mit einer Datenbank wird der entsprechende Untergrund ermittelt. Das Auto kann frühzeitig reagieren
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Bisher ermitteln moderne Land Rover den Wechsel von Sand auf Gras nur reaktiv, mit „Surface ID“ könnten sie in Zukunft vorausplanen
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Ein kleines Display im Prototypen zeigt den von „Surface ID“ erkannten Untergrund. Das entsprechende Geländeprogramm könnte in Zukunft automatisch dazu gewählt werden
Quelle: Land Rover
Was die ganze Technik wirklich bringt, zeigt sich in einem Auto der Schwestermarke Jaguar. Per Car-to-Car-Kommunikation warnt der Krankenwagen den Fahrer im XF frühzeitig. In Zukunft könnten Autos mit solchen Informationen autonom Unfälle verhindern
Quelle: Land Rover
Bei der Car-to-X-Kommunikation meldet das Verkehrsschild dem Fahrer, das es ein Hindernis auf der Strecke gibt
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Car-to-Car-Kommunikation fasst Jaguar/Land Rover unter dem Begriff "Over the Horizon Warnings" - hier warnt ein "liegengebliebener" F-Pace unseren XF
Quelle: Land Rover
So erklärt Land Rover den vernetzten Offroad-Konvoi
Quelle: Land Rover
Nicht nur reagieren, sondern vorausschauen: "Surface ID" bei Jaguar/Land Rover
Quelle: Land Rover
„Terrain Based Speed Adaption“ ist mit einem adaptiven Tempomat für das Gelände vergleichbar. Der Fahrer muss nur noch lenken
Quelle: Land Rover

Range Rover Sport - Terrain-Based Speed Adaptation