Mercedes-AMG E 63 S 4Matic+: Test, Daten, erste Fahrt

Der Querulant im Business-Anzug

Heiko Dilk

verfasst am Wed Nov 30 00:01:45 CET 2016

Grölen, gurgeln, driften: Der Mercedes-AMG E 63 S 4Matic+ ist die stärkste E-Klasse aller Zeiten. Und vielleicht die vielseitigste. Erste Fahrt im Business-Express.

Mercedes-AMG E 63 S 4Matic+: Die stärkste E-Klasse kommt nur mit Allradantrieb, dafür gibt es aber einen Drift-Mode
Quelle: Daimler

Portimao – Was für ein Lärm. Rau, kehlig, gurgelnd und groß klingt der Motor. Und überraschend laut sogar im Innenraum. Durchs Funkgerät krächzt der Instruktor, während wir auf dem Circuito Algarve die kurze Gegengerade hoch knallen. Und wieder runter. Portimao ist hügelig. Man hört den Mann kaum.

Dabei ist das die E-Klasse. Die Komfortschaukel für entspanntes Reisen, die Business-Limousine fürs gehobene Management. Mit Luftfederung und so. Hat dieses Modell auch, aber es muss wohl andere Luft sein, die AMG in die drei Kammern gepresst hat. Härtere Luft, mit höherem Sauerstoff- und Adrenalin-Anteil wahrscheinlich. In Wahrheit wurde das Fahrwerk natürlich nur grundlegend überarbeitet. Gestrafft, versteift und neu abgestimmt.

Mercedes-AMG E 63 S 4Maric+ heißt das lärmende Geschoss, mit dem wir im Zeitraffer um den Kurs in Portugal jagen. Nicht immer schön, aber fast überall schnell. Für eine Business-Limousine. Kurz zur Erinnerung: Die AMG-E-Klasse leistet 612 PS zwischen 5.750 und 6.500 Umdrehungen. Bei 2.500 bis 4.500 U/min drücken 850 Newtonmeter Drehmoment auf die Kurbelwelle.

Die Plastik-Abdeckung verrät nicht, dass der Mercedes-AMG E 63 S 4Matic+ über 612 PS und 850 Newtonmeter verfügt
Quelle: Daimler

Die Technik des Mercedes-AMG E 63 S 4Matic+

AMG hat den aus der C-Klasse bekannten 4,0-Liter-V8 gründlich überarbeitet. Größter Brocken: Die zwei neuen Twinscroll-Turbolader mit maximal 1,5 bar Ladedruck. Außerdem bekommt M 177 (so der interne Motorcode) neue Kolben mit tieferen Taschen für eine niedrigere Verdichtung (8,6:1 statt 10,5:1), eine verbesserte Ansaugung und Ladeluftkühlung sowie einen überarbeiteten Zylinderkopf.

Was sich aus den Daten nicht ablesen lässt: Wie vehement er die zwei Tonnen Stahl anschiebt und wie ungeniert dieser Motor bis in den Begrenzer dreht. Da kommt man mit dem Hochschalten kaum hinterher und lässt lieber das neue Neungang-Getriebe die Arbeit übernehmen. Das kommt im E 63 zum ersten Mal als AMG-Speedshift-Version zum Einsatz.

Noch ein Novum: Der Allradantrieb, zu dem ein „Plus“ addiert wurde. 4Matic+ also: AMG hat die bislang übliche, feste Momentverteilung von 39 Prozent vorn zu 61 Prozent hinten aufgegeben. Jetzt verteilt eine elektromechanische Kupplung das Antriebsmoment vollvariabel. Tempo 100 sind aus dem Stand nach 3,4 Sekunden erreicht. Mit der simpelsten Launch-Control, die es gibt: Bremse treten, Vollgas geben, Bremse schnalzen lassen.

Knapp fünf Meter misst der Mercedes-AMG E 63 S 4Matic+, genau wie die zivilen E-Klassen auch
Quelle: Daimler

Der Mercedes-AMG E 63 S auf der Rennstrecke

Der „Race“-Modus liegt an. Vorne gibt der Profi im AMG GT S (3,23 Kilo pro PS) das Tempo und die Linie vor. Schon nach ein paar Kurven spürt man die Kompetenz, die AMG dem E 63 mit auf den Weg gegeben hat (3,19 Kilo pro PS). Und die Neutralität, die ihm anerzogen wurde. Klar: Wenn man ihn zu schnell in die Kurve zwingt, tut er das, was alle schweren Autos mit zu viel Gewicht auf der Vorderachse tun. Er untersteuert.

Wer das Gewicht respektiert, kann den E 63 S präzise, sicher und schnell in die Kurven feuern. Nicht leichtfüßig, aber mühelos prügelt man ihn über den Kurs. Bremsen, einlenken, noch vor dem Scheitelpunkt Gas geben – die Hinterräder schieben ihn aus der Kurve. Die Vorderräder zuppeln ein bisschen mit.

Der E 63 S 4Matic+ im Drift

Aus den meisten Biegungen verträgt der E 63 S Vollgas. Wenn man sauber fährt. Provokation bedeutet: Drift. Dabei sind wir nicht im Drift-Mode. „Sport Handling Mode“ zeigt das Display an. Das ESP bleibt locker, die Vorderräder im Spiel. Leichtes Wackeln am Kurveneingang, Einlenken, Vollgas – der E 63 hängt das Heck raus. Sauber kontrollierbar und berechenbar geht er quer um die Kurve.

Wie war das mit dem Drift-Mode? „Race“-Modus, ESP aus und die Taste mit dem „M“ auf dem Mitteltunnel drücken. Jetzt wird per Lenkradpaddeln geschaltet, 100 Prozent des Antriebsmoments gehen an die Hinterachse. Die Hinterräder qualmen.

Die AMG-Ingenieure haben den E 63 S so abgestimmt, dass er auch auf der Landstraße tadellos funktioniert, er federt sogar richtig komfortabel
Quelle: Daimler

Der E 63 auf der Landstraße und auf Reisen

Genug gespielt. Es ist das Eine, mit viel Platz, Kiesbetten, Auslaufzonen und ohne Gegenverkehr schnell zu sein. Große Autos ecken vor allem auf kleinen Straßen an. Nördlich von Faro im Hinterland der Algarve sind die Landstraßen klein, verwinkelt und kurvig. Unserem mattgrauen E 63 macht das erstaunlich wenig aus. Oder besser: Dem Fahrer macht das erstaunlich wenig aus. Elefant im Pozellanladen? Wenn, dann ein sehr feinfühliger Elefant.

Der E 63 kann Gewicht und Größe nicht vollständig verstecken. Aber AMG kaschiert beides so effektiv, dass man meint, in einem kleineren Auto zu sitzen. Das Fahrwerk hilft dabei: Es verhärtet die (Luft-)Federrate bei Lastwechseln, in schnellen Kurven oder beim starken Beschleunigen und reduziert so Wank- und Nickbewegungen. Schreibt Mercedes. Stimmt.

Der Innenraum des E 63 zeigt sich wie gewohnt mit recht viel Carbon, ansonsten aber im üblichen E-Klasse-Design
Quelle: Daimler

Schwer, aber komfortabel

Bergab schlägt die Physik dann doch zu. Der E 63 hat ohnehin viel Gewicht auf der Vorderachse. Beim Bremsen wird es noch mehr. Das Display zeigt die Reifentemperaturen an. Sie klettern auf fast 80 Grad, leuchten warnend rot. Das Bremspedal ist schon lange weich. Abbiegen auf die Autobahn, Entspannung für die Gummis und den Fahrer.

Es gibt eben Grenzen. Die kann AMG nicht aushebeln. Eine E-Klasse ist kein Sportwagen und wird es auch als E 63 S nicht mehr. Schon auf der Rennstrecke zeigte die Bremse Ermüdungserscheinungen. Solange es beim weichen Pedal bleibt, ist das nicht gefährlich. Doch wer oft auf die Rennstrecke will, wer regelmäßig durchs Gebirge jagt, braucht einen kompromisslosen, leichten Sportwagen.

Der allerdings kann das nicht: Entspannt über die Autobahn rollen. Wirklich entspannt. Die E-Klasse fährt genauso teilautonom wie die zahmen Varianten und wechselt per Blinkbefehl die Spur. Infotainment, feines Leder, Sicherheit - alles ganz normal. Nur die Sportsitze aus dem AMG GT fanden wir etwas hart. Aber federn kann der E 63 S im Comfort-Modus richtig angenehm. Lärm macht er dann nicht mehr. Der Wind zischelt leise um die A-Säulen. Die Ruhe nach dem Sturm.

Technische Daten Mercedes-AMG E 63 S 4Matic+

  • Motor: 4,0-Liter-V8-Biturbo
  • Antrieb: 9-Gang-Automatik, Allradantrieb
  • Leistung: 612 PS (450 kW) bei 5.750-6.500 U/min
  • Drehmoment: 850 Nm bei 2.500-4.500 U/min
  • Verbrauch laut NEFZ: 8,8 l/100 km
  • CO2-Ausstoß: 199 g/km
  • 0-100 km/h: 3,4 s
  • Leergewicht: 1.955 kg (EG)
  • Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h
  • Länge: 4,993 m
  • Breite: 1,907 m
  • Höhe: 1,460 m
  • Radstand: 2,939 m
  • Spurweite v/h: 1,649 m/1,595 m
  • Kofferraum: 570 l
  • Preis: ab ca. 110.000 Euro
  • Marktstart: März 2017
  • Bestellstart: 16. Januar 2017
Der E 63 S wirkt nicht dezent, allzu extrovertiert stellt er seine Leistung aber auch nicht aus
Quelle: Daimler
Knapp fünf Meter misst der Mercedes-AMG E 63 S 4Matic+, genau wie die zivilen E-Klassen auch
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Die Powerdomes auf der Motorhaube deuten die Leistung an: 612 PS holt AMG beim E 63 S aus dem 4,0-Liter-V8, der E 63 leistet 571 PS
Quelle: Daimler
Auf der Rennstrecke in Portimao konnte MOTOR-TALK-Redakteur Heiko den Mercedes-AMG 63 S 4Matic+ ausprobieren
Quelle: Daimler
Letzte Instruktionen vor der Ausfahrt auf den Circuito Algarve
Quelle: Daimler
Das bekannte Widescreen-Display wirkt im E 63 S ein wenig deplatziert
Quelle: Daimler
Die AMG-Ingenieure haben den E 63 S so abgestimmt, dass er auch auf der Landstraße tadellos funktioniert, er federt sogar richtig komfortabel
Quelle: Daimler
Auch auf langen Strecken kommt man mit dem E 63 S gut klar, jedenfalls im Comfort-Modus
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Die vierflutige Abgasanlage weist den E 63 als kräftiges AMG-Modell aus
Quelle: Daimler
Carbon-Keramik-Bremsen gibt es für den Mercedes-AMG E 63 S 4Matic+ optional
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Die Kühlung des 4,0-Liter-V8 musste AMG für die E-Klasse optimieren
Quelle: Daimler
Die Plastik-Abdeckung verrät nicht, dass der Mercedes-AMG E 63 S 4Matic+ über 612 PS und 850 Newtonmeter verfügt
Quelle: Daimler
Der Innenraum des E 63 zeigt sich wie gewohnt mit recht viel Carbon, ansonsten aber im üblichen E-Klasse-Design
Quelle: Daimler
Den Drift-Mode aktiviert man, wenn im Race-Modus das ESP abgeschaltet wird und die Schaltung auf manuell steht
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Die Schalensitze aus dem AMG GT klauen den Passagieren auf der Rückbank etwas Beinfreiheit
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Guter Seitenhalt gehört zu den Vorzügen der Sportsitze aus dem AMG GT, die Polsterung fanden wir aber etwas zu hart
Quelle: Daimler
Neben den vorkonfigurierten Fahrmodi Comfort, Sport, Sport+ und Race gibt es noch die Möglichkeit, alle Parameter individuell anzupassen
Quelle: Daimler
Am Mitteltunnel und am Armaturenbrett verbaut Mercedes auf Wunsch großflächig Carbon, andere Dekors sind aber verfügbar
Quelle: Daimler
Die Burmester-Anlage klingt gut, kostet aber Aufpreis. Der V8 klingt auch gut und kommt im Mercedes-AMG E 63 und E 63 S serienmäßig
Quelle: Daimler