50 Jahre Trabant 601 und 25 Jahre Mauerfall
Zwickau –
Die Nacht vom 9. auf den 10. November in Berlin-West. Eine Hand greift eine andere und zieht den daran hängenden Menschen auf das Bollwerk jahrelanger Unterdrückung. Fremde liegen sich in den Armen, weinen. Auf dem Kurfürstendamm riecht es nach Freibier und nach verbranntem Zweitakt-Gemisch. Das Fernsehen zeigt Geschichte, live. Gänsehaut, Gejohle der Massen und immer wieder Reng-teng-teng.Wir treffen Toni Wünsch in Zwickau. Der Himmel ist grau, Industriegebiet, am Zigarettenautomaten gibt es F6. Als vor 25 Jahren die Mauer fiel, war Toni noch nicht auf der Welt. Was ihm der 9. November bedeutet? Er antwortet:
„Ich war ja nicht dabei“und lacht.
Wie ein alter Freund
Tonis Auto schon. Knatternd steht es auf dem Parkplatz. Der Geruch von verbranntem Zweitakt-Gemisch dringt wie eine Erinnerung in die Duftrezeptoren.
In den hinteren Seitenscheiben kleben goldene 50er-Embleme, so wie man sie von Geburtstagskarten kennt.
Toni feiert 50 Jahre Trabant 601. Autos, die gebaut wurden, als an ihn noch nicht zu denken war. Ein Auto als schlichtest mögliche Transportform. Ein Auto aus „Pappe“, das vor 25 Jahren plötzlich in Masse die unüberwindbare Mauer durchbrach.
Toni besitzt mehrere „Zeitzeugen“. Darunter
zwei Nullserien-Trabantaus dem Jahre 1964.
Das älteste und das drittälteste bekannte Exemplar Deutschlands.
Nullserien-Trabant von '64
Die sogenannte Nullserie entstand vor dem eigentlichen Produktionsbeginn im Juni 1964. Äußerlich war der neue Typ 601 da schon fast das „Mauer-Auto“ von heute. Aber in Motor- und Innenraum
entsprach er in weiten Teilen noch seinem Vorgängerdem „runden“ P60 oder Trabant 600.
Der Mini-Motor mit zwei Zylindern schöpft
23 PS aus 600 Kubik. Das reicht, um das 615-Kilo-Autochen auf rasante 100 km/h zu beschleunigen. Viel schneller wollte in der Duroplast-Wanne ohne Bremskraftverstärker und mit Trommelbremsen sowieso niemand fahren. Erst
1969 wurde die Leistung auf 26 PSangehoben.
Wir steigen in Tonis pastellblauen 601 mit der Seriennummer 6430816. Ein besonderes Fahrzeug. Laut Seriennummer (der Brief existiert leider nicht mehr) gefertigt im April '64 und somit immerhin der drittälteste bekannte Trabi Deutschlands.
Im Innenraum findet sich das Armaturenbrett des Vorgängers – und die harten, dürren Sitze. Auf dem Beifahrersitz zieht man die Beine ein, bis der Bauch die Oberschenkel berührt.
Kaum vorstellbar, wie in einem solchen Auto eine ganze Familie bis nach Ungarn oder sogar Bulgarien gefahren ist. Doch es ging – mit dem Trabi. Sofern die politische Gesinnung eine Ausreisegenehmigung zuließ.
Made in VEB Sachsenring Werke Zwickau
Routiniert schiebt Toni den Hebel am Lenkrad nach vorn und dann runter. Erster Gang, und wir knattern los.
Der Geruch im Innenraum eines Trabant ist so prägnant wie der aus seinem Auspuff. Es riecht alt und – entschuldige, lieber Trabi – modrig. Fast so, als ob noch ein bisschen vom Freibier aus der Wende-Nacht im Teppich steckt. Es zeugt von Charakter.
„
Bevor der Trabant 601 in Serie ging, gab es 110 Funktionsmuster, die komplett in Handarbeit gefertigt wurden“ sagt Toni. „Das war '63. Aber von denen ist, soweit bekannt, keiner mehr erhalten. Deswegen sind die
Vorserienfahrzeuge aus dem Frühjahr '64 (Januar bis Mai)die ältesten 601, die man fahren kann“.
Ihr markantestes Erkennungszeichen: die viereckigen Lufteinlässe in der Frontmaske. Weil bei der Fertigung die entsprechende Presse noch nicht vorhanden war, wurden sie von Hand ausgesägt. Bei späteren Serienfahrzeugen waren sie rund.
Viele andere Merkmale der allerersten 601er, wie die dünnere B-Säule ohne Sicke, die speziellen Zierleisten, der Stützstab für die Kofferraumklappe oder die fehlende Entlüftung an der C-Säule, blieben noch bis '65. Als der Trabi endlich das Aussehen bekam, das er bis zum ähnlichen, aber weniger kultigen Viertakt-Nachfolger Trabant 1.1 von '89 behalten sollte
Exkursion in die deutsche Auto-Geschichte
Toni zirkelt flott durch die Stadt, vorbei am Horch-Werk, das später zum VEB Sachsenring Werk wurde. Dem Werk in dem Tonis Trabant vor 50 Jahren als einer von mehr als 2,8 Millionen zu Welt kam.
„Autos müssen gefahren werden“, sagt Toni, als er um die nächste Kurve pfeift. Rund 9.670 Kilometer sind bis zu diesem Tag seit der Restaurierung 2012 zusammengekommen. 2010 hatte er den Trabant in Teilen aus Berlin geholt.
Toni orientierte sich bei der Restaurierung am ersten Prospekt zum neuen Trabant 601. Auch ihn trafen dabei die üblichen Schwierigkeiten, aber auch die Glücksgefühle, die jeder Schrauber kennt:
Zwar waren drei der alten Felgen mit den länglichen Löchern dabei, doch eine vierte fehlte. Toni fand sie schließlich auf einem Teilemarkt. Stöbern, fragen, handeln. Ein bisschen muss man vorgehen wie in der DDR.
Spezifische Teile für die frühen 601 sind Goldstaub.
Der wahrscheinlich älteste Trabant Deutschlands
Heute ziert ein Original-Verbandskasten (mit Inhalt) die Hutablage. Über das Alter der originalen Pneumant-Reifen lässt sich nur mutmaßen. Und für Fotos schraubt Toni die Europa-Kennzeichen kurzerhand ab. Denn dahinter verbergen sich selbstgebastelte „DDR-Nummernschilder“. Nicht aus blöder Ostalgie, sondern mit der gleichen Nummer wie im Prospekt: TG 86-42.
Doch
Tonis größter Schatzsteht in einer Lagerhalle nahe der „Automobilen Trabant Ausstellung“ in Zwickau. Toni kramt einen Aufkleber vom Licht-Test '91 aus dem Fußraum eines
verstaubten pastellweißen 601. „Ist durchgehend gelaufen, bis '91“, grinst er. „Wer weiß, vielleicht war er ja sogar beim Mauerfall dabei? Kurz danach muss er jedenfalls weggestellt worden sein“.
Im Fahrzeugbrief steht unter Erstzulassung der 25. März 1964. In der deutschen Trabi-Szene kennt niemand einen älteren 601, als den mit der Seriennummer 6430233. Den 233sten 601, der gebaut wurde.
Erst im vergangenen Jahr hat Toni den Trabi ergattert. Seitdem ruht er. Und wartet auf ein zweites Leben im wiedervereinigten Deutschland.
Auf die nächsten 50
Wann der älteste Trabant Deutschlands wieder läuft, weiß Toni noch nicht genau.
2017 könnte es mit der Restaurierung losgehen. Vorher muss er sich noch um ein paar andere Schätzchen kümmern. Gerade erst ist sein erstes Auto wieder fertig geworden, ein blauer 601 von '89. Selbst bei dessen Fertigung hier um die Ecke in Zwickau war Toni noch nicht auf der Welt.
Das schlechte an hohen Geburtstagen und Jubiläen ist ja, dass zunehmend weniger Leute leben, die sie mit einem feiern. Alte Menschen kennen das.
Wer wird sich in 25 Jahren schon noch lebhaft an die Nacht des 9. November erinnern können?An das Gesicht der Frau, der er auf die Mauer half. Daran, wie unfassbar gut das Freibier auf dem Kudamm schmeckte. Oder daran, wie die Abgase eines ganz besonderen 75-jährigen Ost-Autos aus „Pappe“ riechen?
Aber heute ist nicht 2039. Und außerdem gibt es ja noch Toni Wünsch.
Herzlichen Glückwunsch Trabant. Herzlichen Glückwunsch Deutschland.95 Antworten
Zitat:
@trixi1262 schrieb am 6. Januar 2015 um 10:27:24 Uhr:
Zitat:
@ML-250 schrieb am 5. Januar 2015 um 22:44:38 Uhr:
Ja, Franz liegt richtig. Das ist der Fußabblendschalter. War unverwüstlich und falls er doch mal kaputtgegangen ist, hat man sich für 8 Mark einen neuen gekauft.
Jupp, gabs beim alten Warti auch !
Und was da NeoNeo28 vom Stapel lässt, keine Ahnung wo der Mann zur Wendezeit gewohnt hat![]()
Ich habe 2 Autohändler im nahen Umfeld und beide haben mir bestätigt und sind heute noch froh darüber, das die Wende kam, sonst wären sie mit ihrem Autohandel in Berlin spätestens 1990 den Bach runter gegangen.
Da hat nämlich "fast" kein Wessi (sorry) mehr die Rostlauben nötig gehabt !
Die wahnsinnige Gier vieler meiner Landsleute nach einem "Westwagen" war viel GRÖßER, als die Vernunft , was vielen dann als enormes Verlustgeschäft auf die Füße gefallen ist, LEIDER !
Und noch etwas !
Ein guter Freund von mir ist gebürtiger Wuppertaler !
Heute Rentner
Selbst dort kamen aus dem heutigen Berlin-Brandenburg Leute, welche Autos gekauft haben, weil in Berlin-West kein vernünftiges Fahrzeug mehr zu bekommen war.
In ganz Westdeutschland wurden wieder zu Hauf , gebrauchte Fahrzeuge verkauft, was vor der Wende Monatelang als Ladenhüter/Totes Kapital bei den Händlern stand !
Danke!
Warum diese Feindsehligkeit in einigen Komentaren? Es ist doch gut möglich, dass jeder hier die Wendezeit anders erlebt hat. Wirklich knapp waren günstige Gebrauchtwagen eigentlich nur zum Zeitpunkt der Währungsumstellung am 01.07.1990, weil halt viele ihr 1:1 getauschtes Ostgeld in einen "Westwagen" eintauschten. Da aber sehr viele Westdeutsche für ihren Gebrauchten gutes Geld bekamen, nutzten diese die Gelegenheit um auf einen Neuwagen zu wechseln. So wurde der Markt immer mit weiteren Gebrauchtwagen versorgt, welche sich natürlich dann auch wieder gut verkaufen ließen.
Die lange Wartezeit auf einen Neuwagen in der ehemaligen DDR hatte etwas Vorausplanung erfordert. Spätestens mit 36 Jahren konnte man seinen ersten Neuwagen auf eigener Anmeldung in Empfang nehmen, sofern man das nötige Geld zusammen hatte. So brachte beim Weiterverkauf eine zuteilungsfähige Anmeldung für einen Trabant ca 3.000 Ostmark am Tag der Abholung, während ein neu gekaufter Lada 2107 am Tag der Übernahme mit ca 70.000-80.000 Ostmark den Besitzer wechselte und somit mehr als das doppelte des Neupreises einbrachte.
Mit etwas Geschick konnte man innerhalb der Familie die Anmeldungen so tauschen, dass man ca alle 6-8 Jahre wieder mit einer zuteilungsfähigen Anmeldung dran war. Ein 8 Jahre alter Lada brachte dann in jedem Fall soviel Erlös, dass der neue 1:1 übernommen werden konnte. Ein beliebter Trick dabei war, dass im Kaufvertrag der Zeitwert eingetragen wurde. Die Differenz bis zum Neupreis gab es Cash ohne Quittung.
Außerdem gab es immer mal staatliche Aktionen, wo Westautos frei verkauft wurden. So kam 1977/1978 einige Tausend VW Golf und 1981/82 einige Tausend Mazda 323 in den Verkauf. Man musste aber seine Neuwagenanmeldung dafür hergeben, auch wenn sie erst wenige Jahre "jung" war.
1989 wurden diese 12 Jahre alten Golf (50 PS) noch für ca 50.000 Mark der DDR gehandelt. Der Neupreis lag bei unter 30.000 Ostmark.
Leute mit vermögender Westverwandschaft hatten zusätzlich die Möglichkeit einen Neuwagen (auch Trabant) über GENEX geschenkt zu bekommen. So kamen sehr viele Golf 2 in der DDR auf die Straße. Diese Golf 2 wurden in neuwertigem Zustand zwischen 100.000-120.000 Ostmark gehandelt.
1986 war ich mit einem Trabant 601 Universal (Kombi) bis nach Ungarn in den Urlaub gefahren. Als ich 1996 nochmals die Gelegenheit hatte einen Trabant zu fahren, empfand ich besonders das Fahren von Kurven so als ob jedes Rad in eine andere Richtung fahren wollte. Unvorstellbar wie man mit so einem "Auto" früher bis Ungarn fahren konnte.
[der Text basiert auf Erinnerungen und kann einige Details verklärt darstellen]
@Mobi Dick, sehr interessant (und krasse Preise)
Zitat:
@FranzR schrieb am 11. Januar 2016 um 20:32:03 Uhr:
@Mobi Dick, sehr interessant (und krasse Preise)
Darum fuhren die meisten Leute in der DDR auch einen Trabant. Die kosteten neu so ca 12.000 Ostmark und man musste nur 10 Jahre darauf warten.

Gebrauchte Trabi kosteten so von 2.000-20.000 Ostmark, je nach Alter und Zustand.
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Freue mich immer wieder wenn ich eines auf der Straße fahren sehe, leider werden die immer weniger....
So weit ich mich erinnern kann wurden viele nach der Wende einfach irgendwo abgestellt und auf nimmer Wiedersehen.
Der Trabant ist für mich das Auto, das auf dem Level Käfer, Ente, R4, 5,Bambino mitspielt. EIN Mythos))
Zitat:
@ilyushin schrieb am 11. Januar 2016 um 21:42:40 Uhr:
Freue mich immer wieder wenn ich eines auf der Straße fahren sehe, leider werden die immer weniger....
So weit ich mich erinnern kann wurden viele nach der Wende einfach irgendwo abgestellt und auf nimmer Wiedersehen.
Der Trabant ist für mich das Auto, das auf dem Level Käfer, Ente, R4, 5,Bambino mitspielt. EIN Mythos))
Oder noch einfacher gesagt, der Trabbi war und ist "Kult"

und gehört zur Gesamtdeutschen Geschichte mit dazu