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Das sagt die Autoindustrie nach dem Brexit-Votum - Erst Brexit, dann englischer Patient?

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Nach dem Brexit-Votum ist die Unsicherheit in der Autobranche groß. Viele Hersteller befürchten Handelsschranken und höhere Kosten. Schwächt das die Insel langfristig?

Da war die Inselwelt noch in Ordnung für Toyota: Englische Arbeiter bildeten 2006 zur WM ein Sankt-Georgs-Kreuz aus roten und weißen Toyota Yaris Da war die Inselwelt noch in Ordnung für Toyota: Englische Arbeiter bildeten 2006 zur WM ein Sankt-Georgs-Kreuz aus roten und weißen Toyota Yaris Quelle: dpa/Picture Alliance

London - Ein Land tritt aus der EU aus, und damit aus dem europäischen Binnenmarkt. Ein beispielloser Vorgang mit derzeit nicht absehbaren Folgen - auch für die Wirtschaft. Ökonomisch ist Großbritannien hochgradig mit Europa vernetzt. Das gilt besonders für die Autoindustrie.

Was wird, weiß noch niemand. Der Chef des Instituts für Automobilwirtschaft (Ifa), Willi Diez, gibt eine verhalten optimistische Prognose: Nach kurzfristigem Kurseinbruch werde das britische Pfund wohl stärker und dadurch den Absatz deutscher Autos in Großbritannien ankurbeln, sagte der Wirtschafts-Experte am Freitagmorgen. "Für die deutsche Automobilindustrie wird es nur kurzfristig schwieriger."

Die Sorgen deutscher Industriemanager vor Handelsschranken zwischen Kontinentaleuropa und dem Vereinigten Königreich hält Diez für unbegründet. Weder der EU noch Großbritannien sei an solchen Hemmnissen gelegen. Vielmehr wollten beiden Seiten weiter einen guten und reibungslosen Austausch von Waren und Dienstleistungen. "Die enge Anbindung der Briten an Europa wird erhalten bleiben", sagt Diez.

Volkswagen: Noch zu früh, um Auswirkungen zu bewerten

Übersicht: Automobilproduktion in Großbritannien 2015 Übersicht: Automobilproduktion in Großbritannien 2015 Quelle: Center of Automotive Management

Europas größter Autobauer Volkswagen sieht in den möglichen Konsequenzen des britischen EU-Austritts größere Unsicherheiten, hält die Folgen aber für wahrscheinlich beherrschbar. "Es ist zu früh, alle Auswirkungen auf die Aktivitäten des Unternehmens zu bewerten", hieß es am Freitag aus der Konzernzentrale in Wolfsburg. Man sei jedoch gut aufgestellt, um VW "an sich verändernde wirtschaftliche und politische Umstände anzupassen". Für VW sei das Vereinigte Königreich der zweitwichtigste Einzelmarkt in Europa. Auch die Produktion der Tochter Bentley ist dort angesiedelt.

Opel: Freier Warenverkehr unabdingbar

Die General-Motors-Tochter Opel ist stark in Großbritannien verwurzelt. In den Werken Ellesmere Port und Luton montieren mehr als 3.000 Beschäftigte die Opel/Vauxhall-Modelle Astra und Vivaro. Das ist ein knappes Zehntel der Opel-Gesamtbelegschaft.

Opel fordert eine schnelle Klärung der künftigen Wirtschaftsbeziehungen zum Vereinigten Königreich. Während der Verhandlungen müsse der freie Verkehr von Waren und Personen weitergehen. Über seine Schwestermarke Vauxhall verkauft Opel in Großbritannien so viele Autos wie in keinem anderen Land Europas. Im vergangenen Jahr waren es 311.000 von insgesamt mehr als 1,11 Millionen.

BMW: Konsequenzen noch nicht absehbar

BMW reagiert vorerst zurückhaltend auf die Entscheidung der britischen Wähler, die EU zu verlassen.

"Die Konsequenzen dieser Entscheidung sind heute noch nicht absehbar. Klar ist, dass nun eine Phase der Unsicherheit beginnt", teilte der Autokonzern am Freitag in München mit. "Wir erwarten jedoch zunächst keine unmittelbaren Auswirkungen auf unsere Aktivitäten in Großbritannien."

Großbritannien ist für BMW nach China und den USA der drittgrößte Auslandsmarkt. Der Konzern verkaufte zuletzt mehr als zehn Prozent seiner Autos in Großbritannien, im vergangenen Jahr 236.000 Fahrzeuge. Außerdem baut BMW in England jährlich mehr als 200.000 Mini und Rolls-Royce, und beschäftigt dort 24.000 Mitarbeiter.

Nach dem Brexit-Votum erklärte BMW, die Bedingungen für den Personen- und Warenverkehr müssten nun neu verhandelt werden. "Bevor die neuen Rahmenbedingungen nicht im Detail definiert sind, können wir uns zu konkreten Auswirkungen auf unsere Aktivitäten in Großbritannien nicht äußern." Über Auswirkungen auf die Produktionsstandorte Oxford, Hams Hall, Swindon und Goodwood werde der Konzern nicht spekulieren. BMW hat dort rund 2,2 Milliarden Euro investiert.

Continental: Begrenzte Auswirkungen aufs Geschäft

Der Reifenhersteller und Autozulieferer Continental erwartet nach dem Brexit lediglich geringe Konsequenzen für sein Geschäft. "Die direkten wirtschaftlichen Auswirkungen auf Continental sind voraussichtlich nur begrenzt", sagte Unternehmenschef Elmar Degenhart. Conti mache derzeit weniger als drei Prozent des Umsatzes in Großbritannien. Als Produktionsstandort ist Großbritannien mit 1.400 Mitarbeitern für Conti eher unbedeutend.

Das größte Autowerk Großbritanniens: Nissan baut in Sunderland die Modelle Qashqai, Leaf, Juke, Note und Infiniti Q30/QX30 Das größte Autowerk Großbritanniens: Nissan baut in Sunderland die Modelle Qashqai, Leaf, Juke, Note und Infiniti Q30/QX30 Quelle: dpa/Picture Alliance Mit Blick auf den Zusammenhalt in Europa sei das Ergebnis aber "sehr beunruhigend. "'Jeder für sich' entspricht nicht der Gründungsidee der EU und kann nicht die Antwort auf die Herausforderungen im weltweiten Wettbewerb mit Amerika und Asien sein", sagte Degenhart.

Was tun die Japaner?

Besonders stark sind in Großbritannien die japanischen Hersteller Toyota, Nissan und Honda. Bisher. Weltmarktführer Toyota produziert in Burnaston den Auris und den Avensis, und kalkuliert so: Durch einen EU-Austritt entstehe für in Britannien produzierte Autos ein Kostennachteil von 10 Prozent gegenüber der bisherigen Situation. Man müsse also die Produktionskosten senken oder die Preise erhöhen.

„Eine Fortführung der EU-Mitgliedschaft von Großbritannien ist das beste für unser Geschäft und unsere langfristige Wettbewerbsfähigkeit“, schrieben britische Toyota-Manager am Montag in einem Brief an ihre Angestellten. Andernfalls drohten „ernsthafte Herausforderungen für Toyotas britische Tochtergesellschaft.

Großbritannien war für japanische Unternehmen bisher der bevorzugte Standort für EU-Operationen. 140.000 Briten arbeiten im Königreich für rund 1.300 japanische Unternehmen. Künftig würden Investitionen auf dem Prüfstand stehen, zitiert "Automotive News" einen Manager. Das betreffe beispielsweise die Frage, ob ein neues Modell eher in Großbritannien oder an einem anderen Standort produziert werde.

Anders als Willi Diez erwartet Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management deutliche Auswirkungen. Jeder Hersteller oder Zulieferer werde anstehene Investitionen wegen möglicher Komplexitätskosten gründlich überdenken. Es sei mit Standortverlagerungen von der Insel zu rechnen.

Mit einer Jahresproduktion von fast 500.000 Fahrzeugen betreibt Nissan in Sunderland das größte UK-Werk. Der japanische Konzern wollte sich vorerst explizit nicht zum Austrittsvotum der britischen Wähler äußern.

Quelle: m. Material v. dpa

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