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Autokrise in Südeuropa - Arbeitslose kaufen keine Autos

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Wenn Arnaud Montebourg, Frankreichs „Minister für Reindustrialisierung“ Pech hat, kann er mit dem Reindustrialisieren bei null anfangen: Die französische Autoindustrie wankt, PSA droht in der Krise zu schmelzen wie eine Kugel Eis am Strand von Nizza.

7 von 10 Top-Marken sind im Minus 7 von 10 Top-Marken sind im Minus

Peugeot 208-Produktion Peugeot 208-Produktion Paris - Nicht nur in Frankreich schrillen die Alarmglocken: Die europäische Automobilbranche sitzt in der Absatzfalle. Die Eurokrise ist in Südeuropa schon lange kein abstraktes Thema im Fernsehen mehr. Die arbeitende Bevölkerung zittert um Arbeit und Wohlstand. Ein Heer junger Arbeitsloser hat nichts, worum es zittern könnte - außer seiner Zukunft. Da interessiert man sich für vieles, aber sicher nicht zuerst für neue Autos.

Wer soll Autos kaufen, wenn man nicht weiß, ob man im nächsten Monat noch die Miete bezahlen kann. Europas Wirtschaftskrise ist existenziell, denn die Industrie lebt vom Konsum – und wer Angst um seine Existenz hat, konsumiert weniger. So wenig, dass es für die Autoindustrie in Italien und Frankreich existenziell wird.

In den nächsten Jahren wird sich daran wenig ändern. Europa erholt sich frühestens 2018 von der aktuellen Krise, schätzt z. B. der Renault-Manager Carlos Tavares. Zurzeit bleibt ihm, wie vielen Mitbewerbern, nur das Zählen roter Zahlen.

Bedrohlich sind vor allem die Entwicklungen in den großen südeuropäischen Märkten: Der französische Automarkt verlor 2012 gegenüber dem Vorjahr gut 17 Prozent, in Italien sind es 19 Prozent. In Spanien wurden 8,3 Prozent weniger Autos verkauft. Unter den großen Automärkten sind nur noch Großbritannien und Deutschland stabil. Insgesamt sank der Absatz von Autos in Europa um 7,3 Prozent, bei weiter fallender Tendenz.

7 von 10 Top-Marken sind im Minus 7 von 10 Top-Marken sind im Minus Geld verdienen in Asien und Amerika

Glücklich, wer außerhalb Europas einen Fuß in der Tür hat. Derzeit lässt sich vor allem in den USA und in Asien Geld mit Autos verdienen. Davon profitieren die deutschen Autohersteller. Beispiel Daimler: Im ersten Halbjahr 2012 verkaufte der Konzern weltweit 708.517 Pkw seiner Marken Mercedes-Benz, Smart und Maybach und konnte so 6,5 Prozent zulegen. Dabei war Daimler noch froh über ein leichtes Plus von 1,1 Prozent in Westeuropa; Herausgerissen haben es die Verkäufe in den USA (+15,9 Prozent), in Russland (+27,6 Prozent) und in China (+7,8 Prozent).

Ähnlich sieht es bei der Volkswagen AG und der BMW Group aus: Beide Konzerne sind in den wichtigsten Exportmärkten gut aufgestellt. Exportnation Deutschland? Ja, die Exportstärke der deutschen Automobilwirtschaft hat die schlimmsten Auswirkungen der Krise bislang von uns ferngehalten. Aber nicht überall: Opel und Ford werden von der Kaufzurückhaltung der Europäer voll erfasst -und müssen darauf bauen, dass die US-Mütter ihre Verluste ausgleichen.

PSA: Das Kind im Brunnen

PSA-Produktion in Mulhouse PSA-Produktion in Mulhouse Der europäische Krisenherd köchelt in Frankreich am heißesten. Nein, nicht bei Renault. Dank der Allianz mit Nissan steht Frankreichs Marktführer trotz großer Verluste in Europa noch recht stabil da.

Das Sorgenkind der europäischen Autobranche heißt PSA. Der „Familienbetrieb“ (die Familie Peugeot hält 30,3%) lebt von den bröckelnden, südeuropäischen Märkten. Folge: In Europa musste PSA Einbußen von 15 Prozent hinnehmen. Da PSA gleichzeitig auch in Lateinamerika 21 Prozent weniger Autos als im Vorjahr verkaufen konnte, sank der weltweite Absatz um 13 Prozent.

Peugeot und Citroën sind in den USA gar nicht vertreten. In Asien wurden die Marken von GM und VW längst abgehängt. In der Summe ist das dramatisch: PSA verliert seit einem Jahr 200 Millionen Euro monatlich.

Eine strategische Allianz mit General Motors soll den Franzosen nun schnelle Einsparungen und Zugang zu neuen Märkten bringen. Einfache, preiswerte Limousinen wie den Peugeot 301 will PSA künftig direkt in den Zielmärkten Osteuropa, Naher Osten, Afrika und Südamerika herstellen und vermarkten. Die Citroën DS-Reihe soll als eigenständige Luxusmarke in China etabliert werden.

PSA-Chef Philippe Varin musste nun seinen Offenbarungseid leisten und tiefe Einschnitte ankündigen. Er will in Frankreich 8.000 Stellen abbauen und das Werk Aulnay-Sous-Bois bei Paris mit 3.000 Mitarbeitern komplett schließen. Die Ankündigung versetzte Frankreich in einen Schockzustand.

Citroën DS5 des Präsidenten Citroën DS5 des Präsidenten Hollande will Stellenabbau nicht akzeptieren

Die Politik soll helfen. In Frankreich sind staatliche Eingriffe in die Wirtschaft nicht verpönt, sie werden in Zeiten der Not erwartet. Präsident Francois Hollande steht so vor seiner ersten echten Bewährungsprobe und gibt die erwarteten Signale: Der Sparplan sei „auf keinen Fall zu akzeptieren“ und müsse neu verhandelt werden.

Am 25. Juli will Reindustrialisierungsminister Montebourg nun ein Rettungsprogramm für die Autoindustrie vorlegen. Die Grande Nation diskutiert Staatskredite, eine Sondersteuer für Luxusautos, aber auch Kaufanreize für umweltschonende Fahrzeuge – am liebsten natürlich aus französischer Produktion. Ein Gießkannenprinzip wie bei der Abwrackprämie soll es jedenfalls nicht geben.

Auch Fiat strauchelt

Fiat-Werk Termini Imerese (Italien) Fiat-Werk Termini Imerese (Italien) In Italien ist die Lage nicht besser, aber trotzdem weniger akut: Die dortige Autoindustrie, das bedeutet: der Fiat-Konzern, befindet sich schon seit 10 Jahren im Niedergang. Aktuell sind die Werke des italienischen Konzerns nur zu 60 Prozent ausgelastet, im ersten Quartal 2012 machte Fiat in Europa rund 273 Millionen Euro Verlust.

Konzernkapitän Sergio Marchionne bewies allerdings Voraussicht: Als es der US-Autoindustrie vor zwei Jahren dreckig ging, angelte er sich den Chrysler-Konzern. Jetzt boomt der US-Markt wieder; Chryslers Erfolg in god’s own country rettete den Italienern noch einmal die verhagelte Bilanz. Derzeit prüft Fiat die Stilllegung eines Werks in Süditalien und will Investitionen in Höhe von 500 Millionen Euro verschieben. Am liebsten würde Marchionne allerdings Chrysler-Modelle für den US-Markt in Europa bauen.

Schwacher Trost für Italien und Frankreich: Die Automobilbranche hat dort längst nicht mehr die Bedeutung, die sie in Deutschland hat. In Frankreich beschäftigt die Branche noch 230.500 Menschen, in Italien sind es nur noch 170.200 – vor 30 Jahren gab das Auto in diesen Ländern jeweils doppelt so vielen Menschen Arbeit. In Deutschland arbeiteten 2011 etwa 720.000 Menschen in der Automobilindustrie.

Quelle: MOTOR-TALK

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