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356/2-004 - Ur-Ahn aller Porsche

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1948 waren schwierige Zeiten in Europa, aber für die Firma Porsche Konstruktionen GmbH, die immer noch in Gmünd, Kärnten, angesiedelt war, gab es doch etwas Licht am Horizont.

Die Arbeitsbedingungen in diesem abgeschiedenen Tal hinter dem Großglockner-Pass waren schwierig, aber dank der ländlichen Umgebung musste keiner der beinahe 300 Betriebsangehörigen Hunger leiden.

Rennwagen und Traktoren halten Porsche über Wasser

Die Lichtblicke am Ende eines langen schwarzen Tunnels zeigten sich in einem neuen Abkommen mit dem Volkswagenwerk. Heinrich Nordhoff, der von den Briten als Geschäftsführer bei Volkswagen eingesetzt worden war, bemühte sich redlich, eine Lösung zu finden, die einerseits Produktion und Weiterentwicklung des Käfer ermöglichte und andererseits der Firma Porsche ein entsprechendes Einkommen für die Patente sicherte. Der Vertrag mit Piero Dusio für den Cisitalia-Rennwagen sowie die Traktoren-Entwicklung für Allgäuer brachten zusätzlich dringend benötigte Einkünfte. Nicht zu unterschätzen für ein positives Betriebsklima war auch, dass Professor Porsche wieder präsent war - wenn auch nicht in bester Verfassung.

1948 war auch das Geburtsjahr für den neuen Porsche-Sportwagen, der damals noch VW-Sportzweisitzer genannt wurde. Mit atemberaubender Geschwindigkeit hatten die Porsche-Mitarbeiter dieses Fahrzeug entworfen, entwickelt und die ersten Exemplare fertiggestellt. Entwickelt ist dabei vielleicht ein zu großer Begriff, weil die Hauptkomponenten wie Motor, Getriebe und Vorderachse aus dem VW stammten. Dennoch war es eine beachtliche Leistung. Abgesehen von der Entwicklung des Prototypen Nr. 1 geschah diejenige der Porsche 356/2er-Serie ganz eigenständig.

Nach fünf Monaten strahlt das erste 356/2-Coupé

Am 1. April 1948 wurde entschieden, 50 Fahrgestelle für den Porsche 356/2 zu bauen, am 3. Juni lagen die endgültigen Maßstabszeichnungen für die Karosserie vor, am 15. Juni waren die ersten Blechrahmen-Fahrgestelle fertig, und am 27. August strahlte das erste Porsche 356/2-Coupé fertig lackiert. Das waren nur etwas über vier Monate - alles von Hand und ohne CAD-Programme. Dank des großen Werbeeinsatzes für den Porsche-Prototyp Nr. 1, der von Mai bis November 1948 auf vielen Veranstaltungen gezeigt wurde, waren Presse und Fachpublikum bereit - und gespannt auf den ersten Porsche 356 Seriensportwagen.

Im August 1948 erreichten zwei Porsche 356/2-Fahrgestelle mit Technik per Eisenbahn von Gmünd die Karosseriefirma Beutler in der Schweiz. Auf diesen Chassis entstanden bis März 1949 die ersten zwei Porsche 356/2-Cabriolets. Mitte Dezember waren auch die ersten drei Porsche 356/2-Limousinen (so nannte man damals die Coupés) fertig und verließen Gmünd per Bahn nach Zürich. Käufer und Generalimporteur zu dieser Zeit war Bernhard Blank Automobile in Zürich und nicht Ernst von Senger, wie es fälschlicherweise in vielen Büchern steht. Von Senger hatte sich schon Monate vor der ersten Porsche 356-Lieferung anderweitig orientiert.

Bernhard Blank war ein Geschäftsmann mit besten Beziehungen und einem voll ausgestatteten Automobilgeschäft: Ein schöner Ausstellungsraum an der Dufourstraße im noblen Zürcher Seefeld-Quartier, unmittelbar hinter dem Opernhaus. Blank war Importeur von Lanchester, Daimler und auch Tucker - auch er hat natürlich nie einen Tucker zu Gesicht bekommen. Doch dass er an einem solch radikal modernen Fahrzeug interessiert war und Geld für Anzeigen investierte, zeigt sein Interesse an ungewöhnlichen Automobilen. Die allererste Zeitungsanzeige für einen Porsche erschien im August 1948 zusammen mit Tucker unter dem Motto "die beiden neuesten Automobilschöpfungen". Von dieser offenen Einstellung profitierten auch die neuen und damals sehr exotischen Produkte von Porsche.

Katastrophale Qualität der ersten Exemplare

Kurz nach Weihnachten 1948, am 27. Dezember, erreichten die drei Porsche 356/2-Limousinen Zürich - die Chassis-Nummern 356/2-001, -004 und -008. Auf die Vorfreude folgte jäh eine Ernüchterung. Nachdem die Fahrzeuge angeliefert und der Schmutz vom offenen Bahntransport entfernt war, zeigte sich die katastrophale Qualität der Autos. Heinrich Kunz, damals Verkäufer bei Blank, erinnerte sich genau an den Schrecken, er war ganz andere Qualität von den britischen Fahrzeugen gewohnt: Toplackierung, glänzender Chrom, perfekt verarbeitetes Leder, Wollteppiche et cetera.

Und dann standen die drei Porsche 356/2 da, bei denen man nicht wusste, ob die Lackierung die Grundierung oder die Farbe war. Chrom war fast keiner vorhanden. Die Innenausstattung entsprach in keiner Weise den Vorstellungen und dem Preisniveau, sie bestand aus verschiedenen Materialien, die nicht zusammenpassten. Die Plexiglasscheiben hatten schon Kratzer, auch die Technik machte nicht den frischesten Eindruck. Es war Blank und seinen Leuten sofort klar, dass sie diese Autos niemals in diesem Zustand zeigen konnten - schon gar nicht der Weltpresse auf dem Automobil-Salon in Genf, der in nur zehn Wochen eröffnet wurde.

Die drei Fahrzeuge wurden umgehend einer Schönheitskur unterzogen. Ende Februar 1949 standen die drei Porsche 356/2-Limousinen strahlend und in Topzustand im Ausstellungsraum bei Bernhard Blank. Die Zeit bis zum Salon in Genf wurde genutzt, um erste Verkaufsgespräche zu führen und um Werbefotos an verschiedenen Plätzen in Zürich zu machen.

Erster Auftritt auf dem Genfer Automobilsalon

Dr. Piëch sowie seine Ehefrau Louise und ihr Bruder Ferry Porsche reisten nach Genf, um dieses Ereignis mitzuerleben, wenn das allererste Mal ein Fahrzeug mit dem Namen Porsche der Welt präsentiert wurde. Auf dem Stand glänzten das Porsche 356/2-002 Beutler Kabriolett sowie die Limousine -008. Die Automobil-Presse berichtete weltweit, und der 356 fand viel Beachtung bei den Besuchern. Im Außengelände standen zwei Fahrzeuge für Probefahrten bereit: Die -001 und die -004 wurden von Herbert Keas und Heinrich Kunz den Interessenten demonstriert. Es soll dabei Reporter gegeben haben, die die ganze Probefahrt mit geschlossenen Augen absolvierten - das lag aber nicht an dem tollen Sound oder den guten Sitzen, sondern an der Fahrweise von Herbert Keas.

Der erste Schritt war getan, um den Namen Porsche als Sportwagen-Produzenten einzuführen. Die damals noch nicht erfundenen Marketing-Spezialisten hätten ihre helle Freude gehabt: In allen Printmedien, nicht nur Fachzeitschriften, fand der neue Sportwagen Porsche 356/2 lobende Erwähnung. Nach einigen Monaten aber musste Blank feststellen, dass der Verkauf weniger einfach ist. Die beiden Beutler-Cabriolets wurden sehr schnell verkauft, eines davon sogar noch vor dem Salon. Aber die Limousinen wollten nicht so schnell einen Käufer finden. Der Preis von 14.500 Schweizer Franken war sicher die größte Hürde, dafür ließen sich wesentlich bekanntere Luxuswagen kaufen.

Der Porsche 356/2-004 wurde der Vorführwagen der Firma Blank. Der zuständige Verkäufer Heinrich Kunz durfte (oder musste), wie es damals üblich war, mit dem Wagen die in Frage kommende, gehobene Kundschaft zu Hause besuchen. Er fuhr mit dem Wagen kreuz und quer durch die Schweiz, zum erfolgreichen Seidenweber im Raum Sankt Gallen, zum reichen Leinenweber im Glarner Land oder zum berühmten Hotelbesitzer im Engadin - immer in der Hoffnung, den Wagen verkaufen zu können. In manchen Fällen arteten diese Besuche in peinliche Situationen aus: Einige Personen der Zielgruppe hatten nicht nur eine dicke Brieftasche. Sie konnten oder wollten erst gar nicht einsteigen und, schlimmer noch, fast nicht mehr aussteigen.

Erster Besitzer optimiert den Porsche 365/2

Im Januar 1950 fand der Porsche 356/2-004 endlich einen Käufer: Freiherr Achim Colmar Carlo von der Goltz, Privatier und wohnhaft in der Villa Goltz in Lugano-Massagno. Der Baron war technisch sehr interessiert und auch handwerklich sehr geschickt. Seine Tochter erinnert sich, wie ihr Vater tagelang an dem Wagen arbeitete. Er baute einen zusätzlichen Benzintank ein, versah den Wagen mit einigen zusätzlichen Kühlöffnungen am Heck und montierte eine Alu-Blende am vorderen Ende der Fronthaube, die sowas wie einen Kühlergrill vorgaukeln sollte. Die Leute damals waren immer noch sehr irritiert, dass der Motor am falsche Ende vom Auto saß und kein anständiger Kühlergrill zu sehen war. All diese Verbesserungen wurden von ihm in der eigenen Garage gefertigt, 1951 erhielt der Porsche 356/2-004 zudem von einem Fachmann eine dunkelblaue Lackierung.

Alle technischen Änderungen mussten natürlich getestet werden, es gab ja unzählige Passstrecken in der Nähe. Einer der liebsten Testpässe des Barons war der Lukmanier. Seine beiden Kinder waren meistens zu Hause, da diese privat unterrichtet wurden. Seine Tochter durfte (oder, wie sie sich noch erinnert: musste) meistens als Begleiterin mitfahren. Der Baron war ein erfahrener und schneller Fahrer, er hatte nicht nur den Porsche 356, sondern auch Alfa und Bugatti besessen. Die Tochter war natürlich sehr stolz, mit dem Vater unterwegs zu sein. Aber nicht nur einmal waren die Fliehkräfte zu groß für den kleinen Mageninhalt.

-004 verschwindet für 25 Jahre von der Bildfläche

Ende 1952 verliert sich die Spur von Porsche 356/2-004 auf ominöse Weise. Die Tochter erinnert sich nur noch vage: Der Porsche wurde dem langjährigen Gärtner für eine Reise nach Hause in Italien ausgeliehen. Dieser und der Wagen inklusive der Nummernschilder TI 11 898 verschwanden für die nächsten 25 Jahre.

Anfang 1970 hörte der italienische Sammler Luciano Rupolo von einem vergammelten Porsche 356 in einer Scheune in der Nähe von Padua. Er bemühte sich einige Jahre, den Wagen zu besichtigen, und es dauerte nochmals einige Zeit, bis er den Wagen kaufen konnte. Es waren keine Papiere dabei, die Kaufumstände etwas nebulös. Im ersten Moment wusste er gar nicht, was er gekauft hatte, er vermutete, es müsste sich um eine frühe Knickscheibe handeln. Rupolo konnte auch keine Fahrgestellnummer im Kofferraum finden. Von einem Besuch bei Porsche erhoffte er sich Informationen über das Auto - doch niemand konnte ihm helfen, weil er die Fahrgestellnummer nicht kannte.

Beim Besuch des alten Museums sah er dann einen anderen Porsche 356, der genau so aussah wie seiner: Es wurde rasch klar, dass es sich um ein Gmünd-Fahrzeug handeln musste. Er erfuhr auch, dass diese Autos die Fahrgestellnummer im Motorraum hatten und nicht im Kofferraum. Nach seiner Rückkehr stellte Rupolo fest, dass es sich um den Wagen Porsche 356/2-004 handelte - und sein Wagen der älteste noch existierende Serienporsche ist (außer dem Prototyp Nr. 1).

Der originale Ersatzreifen stammt aus dem Jahr 1949

Rupolo begann eine sehr sorgfältige Restaurierung des Porsche 356/2-004, zum Glück wurden diese Arbeiten dokumentiert, und er behielt sämtliche ersetzten Teile. Heute lässt sich deshalb feststellen, dass der Wagen vor der Restaurierung sehr original war. Die ganze Innenverkleidung, die einst in Zürich montiert wurde, war noch vorhanden. Alle Instrumente und Leuchten waren noch montiert, und viele kleine Details zeigten die Geschichte des Fahrzeugs. Auf dem Reserverad ist immer noch der erste Reifen aufgezogen: Ein Firestone, der 1949 in Pratteln, Schweiz, produziert wurde. Auf einem der Schläuche ist ein Reparaturstück aufvulkanisiert mit dem Werbelogo von B. Blank, Automobile, Zürich.

Herr Rupolo fuhr mit dem Porsche 356/2 nach Gmünd, zeigte ihn auf vielen Veranstaltungen und bewegte Nr. -004 auf Bergrennen. Ende 2010 beschloss er aus Altersgründen, sich von dem Auto zu trennen. Ein Sammler aus der Schweiz, Dr. Thomas Straumann, setzte alles daran, dass der Wagen wieder zurück in die Schweiz kommt. Damit schließt sich der Kreis und die abenteuerliche und noch nicht ganz geklärte Reise von Porsche 356/2-004. Heute steht der Wagen neben dem (später fertig gestellten) Cabriolet -003 und dem Mathé-Renncoupé -052, aber das ist eine andere Geschichte.

 

Quelle: Motor Klassik

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