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Interview: Rüdiger Hossiep, Wirtschaftspsychologe der Ruhr-Universität Bochum - "Ein BMW X6 ist wie ein dicker Kokon"

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Wie lange dauert es, bis hinter Dir jemand an der grünen Ampel hupt? Was unterscheidet Audi- von BMW-Fahrern? Interview mit dem Wirtschaftspsychologen Rüdiger Hossiep.

Den BMW X6 findet Rüdiger Hossiep persönlich eher unpraktisch, aber hochinteressant - weil er eine Menge über den Fahrer erzählt Den BMW X6 findet Rüdiger Hossiep persönlich eher unpraktisch, aber hochinteressant - weil er eine Menge über den Fahrer erzählt

Berlin - Wir Deutschen lieben unser Auto heiß und innig. Denken wir an unser Auto, denken wir an individuelle Mobilität und an das Versprechen persönlicher Freiheit. Unsere Autos werden nicht nur als Gebrauchsgegenstände geschätzt - sie werden gewaschen, gewachst und mit Kosenamen belegt. 80 Prozent der Deutschen können sich nicht vorstellen, auf das eigene Auto zu verzichten. Das ergab kürzlich eine Forsa-Umfrage im Auftrag von mobile.de.

Doch warum ist das so? Und wieso schauen wir die Werbung für unser neues Auto nach dem Kauf an? Das verrät uns der Wirtschaftspsychologe Rüdiger Hossiep von der Ruhr-Universität Bochum.

Der promovierte Wirtschaftspsychologe beschäftigt sich seit Jahren mit Autofahrern und deren Beziehung zu ihrem Auto. Zudem ermittelt Rüdiger Hossiep einmal pro Jahr mit Hilfe von MOTOR-TALK den Involvement-Index, der misst, welche Automarke von den Haltern am meisten geliebt wird.

MOTOR-TALK: Lieber Dr. Hossiep, in der Hitliste der autovernarrtesten Nationen – wo steht Deutschland?

Das ist schwer einzuschätzen, weil die Leute Autos anders lieben. Die Italiener haben viel Benzin im Blut, sind aber weniger regelgeleitet als wir. Die Deutschen gehen mit dem Auto traditionell anders um. Früher wurde jeden Samstag das Auto gewaschen. Für den Italiener verliert das Auto seinen Reiz nicht, wenn es ein paar Beulen hat.

In Deutschland hängt jeder sechste Arbeitsplatz an der Autoindustrie und es wird nach meinem Kenntnisstand jeder zweite Forschungs-Euro in dem Sektor investiert. Es ist die einzige Industrie, bei der wir weltweit konkurrenzfähig sind – und das, obwohl es vom Prinzip her Vorkriegstechnologie ist. Und ich meine den 1. Weltkrieg.

MT: Lieben wir in 10 Jahren das Smartphone mehr als das Auto? "Mr. Durchschnitt": Bloß nicht auffallen ist das Motto bei vielen Dienstwagenkunden, sagt Rüdiger Hossiep "Mr. Durchschnitt": Bloß nicht auffallen ist das Motto bei vielen Dienstwagenkunden, sagt Rüdiger Hossiep Quelle: mobile.de

Bei jungen, technikaffinen Leuten ist das heute schon der Fall. Sie müssen ja viele Fahranfänger geradezu zwingen oder zumindest sehr motivieren, den Führerschein zu machen – obwohl es zu einer kompletten Lebensführung dazugehört. Ob es in 10 Jahren noch Smartphones gibt, weiß heute kein Mensch. Ob es noch Autos mit Verbrennungsmotor mit historischer Bedeutung gibt: Davon können wir ausgehen.

MT: Wenn ein BMW X6 an der Ampel vor Ihnen steht. Was denken Sie über den Fahrer?

Ich kenne das Stichwort, mit dem das Auto weltweit in der Szene bedacht wird: Berlusconi-Car. Dicker Hosen-Träger. Das Auto selbst ist sehr unpraktisch, weil für das Volumen nichts reinpasst.

MT: Und über den Fahrer eines VW Golf Variant in Grau?

Das ist Misses oder Mister Durchschnitt, die glauben, mit einem Auto aus deutscher Produktion rumzufahren.

MT: Verrät die Farbe etwas über den Halter?

Das halte ich für überschätzt. Andererseits: Wo Rauch ist, ist meist auch Feuer. Und die Farbe hat Auswirkung auf andere. Wenn Sie auf der Autobahn einen schwarzen BMW mit LED-Licht im Rückspiegel sehen, unterstellen Sie ihm eine höhere Geschwindigkeit als einem weißen Panda. Vermutlich zurecht. Das nennt man Überholprestige.

Ich habe das selbst erlebt: Wir haben einen alten Mini gekauft und abgeholt. Meine Frau fuhr den Mini und ich mit einem Volvo XC70 hinterher. Was ich über 2,5 Stunden vor mir gesehen habe, war schockierend. Das Auto wurde geschnitten, ausgebremst und behandelt, man möchte sagen, wie eine Schmeißfliege.

MT: Kennen Sie noch weitere Beispiele?

Auch an der Ampel wirkt ein BMW X6 ganz anders als ein Smart. Man kann das messen an der Zeit, die bei einer Grünphase vergeht, bis gehupt wird. Ein X6 schirmt den Fahrer in doppeltem Sinn vom Verkehr ab. Er ist wie ein dicker Kokon. Weniger Geräusche und mehr Respekt. Das kauft man quasi mit. So, wie man früher von der eingebauten Vorfahrt bei Mercedes gesprochen hat.

MT: Was verbindet der Deutsche mit dem Auto?

Wenn Sie tief in die Volksseele reingehen, dann sind das vor allem der Wohlstand und der Wiederaufstieg der Nachkriegsjahre. Jeder einzelne verbindet mit dem Auto persönliche Mobilität. Wer hatte früher als junger Mensch schon ein eigenes Zimmer? Wenn man ein eigenes Auto hatte, hatte man einen sozialen Raum zum Mitnehmen, konnte mit der Freundin ins Autokino.

MT: Wie wird sich das in Zukunft verändern?

Auf dem Land ist die Bedeutung ohnehin noch viel mehr so, wie es früher überall war. Ich glaube aber, dass in der Stadt das individualisierte Fahren im eigenen Gefährt, also in einem abgeschlossenen sozialen Raum, eine Renaissance erleben wird. Auch aufgrund der als verändert empfundenen Sicherheitslage.

Da sind wir schon mittendrin. Ich kenne vor allem junge Frauen, die früher ÖPNV gefahren sind und nun einen Kleinwagen haben. Weil sie das, was in den Verkehrsmitteln und auf den Bahnhöfen passiert, meiden wollen. Das wird in diese Richtung weitergehen.

Den Fiat Panda findet Hossiep besonders interessant: Kaufe in Deutschland keiner, weil der 500 niedlicher sei - der Panda aber besser Den Fiat Panda findet Hossiep besonders interessant: Kaufe in Deutschland keiner, weil der 500 niedlicher sei - der Panda aber besser Quelle: dpa / Picture Alliance MT: Mercedes-Fahrer sind dick, BMW-Fahrer aggressiv? Wieso halten sich solche Klischees hartnäckig?

Das sind Fremdbilder. Kein Mercedes-Fahrer würde das über sich sagen. Fremdbilder sind schwer zu verändern, Selbstbilder sind viel variabler. Das eigene Verhalten kann man leicht auf gute Gründe zurückführen. Der Mensch ist ja ein rationalisierendes Wesen und hat immer gute Gründe.

Das Verhalten anderer beurteilen wir anders. Die machen das, „weil sie so sind“. Das Verhalten anderer in der Fremdwahrnehmung zu verändern ist unglaublich schwierig. Audi ist das gelungen. Über 30 Jahre hinweg, weg vom Toilettenrollenschoner auf der Hutablage, aber das hat Abermilliarden gekostet.

MT: Wie unterscheiden sich die Fahrer von Teslas Models S und der S-Klasse?

Wir erstellen mit Hilfe unseres kostenlosen Selbsttests Fahrerprofile. Und dabei hat sich gezeigt, dass Tesla-Fahrer im Grunde gar keine Premiumkäufer sind und sich kaum von einem Standard-Golf-Fahrer unterscheiden.

MT: Was unterscheidet BMW- und Audi-Fahrer?

Beim BMW 3er zum Beispiel stellen wir erhebliche Unterschiede in der Fahrerprofilierung zwischen Kombi und Limousine fest. Beim BMW 5er beschreibt sich der Fahrer selbst deutlich weniger aggressiv als der A6-Fahrer. Bei BMW 3er und A4 ist es umgekehrt. Auch interessant: Der Fahrer eines Mini John Cooper Works unterscheidet sich vom Profil kaum von einem Porsche-911-Fahrer. Auch die Fahrerprofile von M5, RS6 und einer E-Klasse von AMG sind fast identisch.

MT: Wie wählt der Deutsche seinen Dienstwagen?

Wir Deutschen gucken immer ganz stark auf den Chef oder Nachbarn. Bloß nicht auffallen. Außerdem wird genau darauf geachtet, dass die Ordnung eingehalten wird. Dann kauft man sich lieber ein potthässliches Auto in der Klasse statt eines Maserati, der wunderschön ist und den Sie für das gleiche Geld kriegen. Aber das liegt den meisten fern. Da muss man schon Firmeninhaber sein, um sich das vermeintlich leisten zu können - oder Freiberufler.

MT: Das heißt, Image geht über Qualität oder Vernunft?

Image ist alles, die Sache tut kaum etwas zur Sache. Bestes Beispiel sind Fiat Panda und Fiat 500. In Italien fährt jeder einen Panda. Erst viel weiter hinten in den Zulassungen kommt der 500. Bei uns ist es umgekehrt. Den Panda gibt es kaum, dabei ist die technische Basis die gleiche.

Der Panda kann alles besser, ist 30 Prozent günstiger und ist dramatisch besser verarbeitet, weil er im neuen italienischen Fiat-Werk gebaut wird und der 500 in Polen vom Band läuft. Nicht selten haben Sie nach 6 Jahren beim Cinquecento sogar einen wirtschaftlichen Totalschaden, weil die anfallenden Reparaturkosten enorm hoch sind.

MT: Mit welcher Begründung kaufen wir den 500?

Weil er so süß ist. Wir Deutschen würden immer sagen, wir hätten gute Gründe. Das behaupten die Leute felsenfest und glauben daran. Das machen wir für die eigene Psychohygiene. Ein 7er-Käufer erzählt, er könne kein anderes Auto fahren, weil er nirgendwo sonst vernünftig sitzen kann. Das kann er dann zwar erzählen und glaubt es selbst, aber – sagen wir es deutlich - das ist natürlich Quatsch.

Autowerbung wird ganz wesentlich für die Bearbeitung von Nach-Entscheidungskonflikten geschaltet. Dabei geht es darum, die enorme Investition zu rechtfertigen. Also schauen Käufer Werbung auch nach dem Kauf, nach dem Motto: Das war doch richtig. Von Fakten sind wir immer weiter weg. In Prospekten geht es viel um das Feeling. Belastbare Daten für die Kaufentscheidung sind kaum noch vorhanden. Das hat sich in den vergangenen Jahren völlig gedreht.

 

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