Bald 9-Gang-Automatik in der E-Klasse

Mercedes E-Klasse W212

Laut einem aktuellen Bericht der Auto-Motor-Sport soll demnächst die 9-Gang-Automatik in der E-Klasse eingeführt werden. In der S-Klasse soll sie ab Mitte 2014 zu haben sein.

Beste Antwort im Thema

Schöne neue Getriebewelt

oder

Die wundersame Gangvervielfältigung

Moin bb...,
moin Forenten,

seltsam, Lehrling, zum Davonlaufen: das alles stimmt und stimmt doch wieder nicht. Letztlich ist es so, dass es anders nicht mehr geht. Ich will versuchen, den Paradigmenwechsel noch einmal klarer herauszuarbeiten.

Früher

Früher war es so, dass ein Ingenieur eine Aufgabe gestellt bekam, die er anschließend gelöst hat. Die Anforderungen waren noch nicht allzu vielschichtig. Im Falle automatischer Getriebe sahen die Lösungen jahrzehntelang vergleichsweise schlicht aus. Grob klassifiziert so:

  • Dreigangautomatiken herrschten vor. Dies war in der Zeit der Vierganggetriebe nur logisch, da der Drehmomentwandler den Anfahrgang ersetzt. Getriebeseits bestanden sie aus einem Simpson- oder Ravigneaux-Satz oder auch zwei normalen Radsätzen.
  • Mercedes leistete sich von Anfang an den Luxus von Viergang-Automatiken, wobei sie dabei den Wandler sehr viel steifer -- also mit sehr viel früherem Kaftschluss -- abstimmten: zur Föttinger-Flüssigkeitskupplung (bis 1972/1973 verwendet) merkte man kaum einen Unterschied, außer dem früher bereits erwähnten Anfahren im 2. statt im 1. Gang. Getriebeseitig wurden hier 3 Radsätze eingesetzt.

Startschuss für Veränderung: die Ölkrisen

Es bedurfte zweier Ölkrisen -- der von 1973 (mit Sonntagsfahrverbot; wer erinnert sich noch?) und 1979 (mit einem Kraftstoffpreis von 1,58 DM pro Liter Super 1981; wer erinnert sich noch? *)) -- um das Auto als Teilnehmer im Umweltgeschehen wahrzunehmen. In den 80er Jahren reagierten die Hersteller darauf mit zunehmend energiesparenden Techniken. Prominent war die Verbesserung der Aerodymanik und die Steigerung der Leistung als Abfallprodukt der verbesserten Motorwirkungsgrade. Logo, je weniger durch den Auspuff entweicht, desto mehr steht an der Kupplung zur Verfügung. Leichtbau hat sich nicht ausgewirkt, da die Ausstattungsverbesserungen sogar zu einer deutlichen Erhöhung der Leergewichte geführt haben.

Dadurch nun wurden die Autos erheblich schneller. Die 4 Gänge oder 3 bei der Automatik mussten nun über einen weiteren Bereich gestreckt werden. Das Ergebnis wurde mit zunehmender Windschlüpfrigkeit immer unbefriedigender. Gleichzeitig entdeckte man den Overdrive wieder: diesmal nicht für Komfort, sondern für die Senkung des Verbrauchs.

Die Inflation der Gänge

Im Ergebnis wurden zwei zusätzliche Gänge nötig: einer, um dem größeren Geschwindigkeitsbereich Rechnung zu tragen, einer, um mit einem Schongang den Verbrauch erfolgreich zu senken. Entsprechend haben die manuellen Getriebe heute üblicherweise 6 Gänge. Die Automatiken endeten bei 5 Gängen. Hier nun ging die Entwicklung zwischen Mercedes und ZF extrem auseinander.

  • Bei Mercedes ergänzte man die Automatik mit 3 Radsätzen um einen 4.
  • ZF schaffte sogar 6 Gänge in dem 6 HP mit nur 1 Ravigneaux-Satz und 1 normalen Radsatz (Lepelletier-Anordnung; Hinweis: hier gibt es den direkten Gang als 7. Gang umsonst dazu, also als 5. Gang, den ZF aber ganz bewusst verschenkt hat, da die umligenden beiden Gänge zu nah liegen; kleiner Vorgriff: später hat man derartig liegende Gänge nicht mehr verschenkt, sondern alle genommen)

Sackgasse

Irgendwie war klar, dass das -- zumindest bei Mercedes -- nicht so weitergehen konnte. Wenn die Fahrzeuge, selbst, wenn sie nicht leistungsfähiger werden, immer schneller werden und zugleich die Anforderungen immer größer werden, werden weitere Gänge erforderlich werden. Und wie soll das gehen? Noch einen Radsatz anfügen? Ausgeschlossen.

Parallel verlagerte sich die Konstruktion immer mehr auf den Computer, womit viel komplexere Modelle entwickelt werden konnten, die früher gar nicht alle hätten gerechnet werden können, weil es schlicht zu lange gedauert hätte. Viel zu lange. 30 Jahre für die Entwicklung eines Getriebes? Oder 60 Jahre, wenn es besonders sorgfältig gemacht werden soll? Hier kann man sich jeden Zeitraum vorstellen: jeder wäre zu lang. Das waren keine Optionen. Mit Computern verkürzten sich diese Zeiten dramatisch.

Paradigmenwechsel 1

In einem ersten Schritt -- eine Übung könnte man darin sehen -- entwickelte Mercedes das NAG. Die Veränderungen sind augenfällig: ein kompletter Radsatz gespart (und sogar einen 2. Rückwärtsgang gewonnen). Damit begannen die Lösungswege zwischen Mercedes und ZF wieder zu konvergieren. Man hat nicht mehr am grünen Tisch Übersetzungsverhältnisse festgelegt und dann ein solches Getriebe gebaut, sondern versucht, vollständig zu verstehen, welche Möglichkeiten in einer gegebenen Konstruktion stecken, um sie möglichst alle zu nutzen.

Das NAG bis hinauf zur 7G-Tronic ist noch einigermaßen schlicht konzipiert. Das ist bei der 8 HP von ZF noch mal einen ganzen Zacken komplexer. Audi hat eine Schulungsunterlage herausgebracht, die der von mir genannten für Mercedes entspricht. So auf Anhieb finde ich sie nur auf Englisch, aber es gibt sie auch auf Deutsch, die man bei entsprechend geduldiger Suche vielleicht noch finden kann.

http://admin.audionlinetraining.com/.../...%20Power%20Transmission.pdf

Als ich die Kraftflussdiagramme zu verstehen versucht habe, wurde mir klar: das ist nicht das Ergebnis linearer Konstruktion, sondern dabei wurde gänzlich anders vorgegangen. Niemand kommt von sich aus auf die dort verwirklichten Ideen. Das ist nicht durch bloßes Herumprobieren entstanden. Da muss viel grundsätzlicher und aufgrund der sich daraus ergebenden uferlosen Vielfalt viel systematischer vorgegangen worden sein, davon bin ich überzeugt.

Was bedeutet das?

Paradigmenwechsel 2

  • Ist vor dem Paradigmen-Wechsel ein einzelnes Problem -- hier also: die Übersetzung eines einzelnen Ganges -- zunächst (wenn auch bei Mercedes schlecht, sogar richtig schlecht, doch das kann hier beiseite bleiben) festgelegt und dann umgesetzt worden,
  • würde diese Vorgehensweise bei den heutigen Anforderungen zu einer Automatik mit vielleicht 6-7 Radsätzen und jeder Menge Aktoren führen. Ein solches Getriebe würde aber bis zwischen die Vordersitze reichen, vom Fertigungsaufwand (und, last, but not least vom Gewicht) ganz zu schweigen. Sprich: das geht nicht.
  • Auf den ersten Blick ein Dilemma. Es gibt jedoch einen Ausweg. Wie durch ein Wunder haben heutige Automatikgetriebe doppelt so viele Gänge wie bis vor etwa 20 Jahren, ohne aufwendiger geworden zu sein. Die wundersame Gangvervielfältigung. Schön wär's. Statt die Automatik immer aufwendiger zu machen, hat man durch mathematische Modellierung und Rechnen sämtlicher möglichen Kombinationen alle Möglichkeiten, die in einem Planetengetriebe mit 4 Radsätzen stecken, gefunden und durch hin- und herschieben der erforderlichen Aktoren das Layout gefunden, das 9 halbwegs brauchbare Gänge bietet.
  • Halbwegs brauchbar ist das Stichwort. Anders als bei den alten Getrieben oder der unrealistischen Variante mit 6 oder mehr Radsätzen können die einzelnen Gänge nun nicht mehr jeder für sich ausgelegt werden, sondern alles hängt mit allem zusammen. Man darf sich das wie ein Mobile vorstellen: tickt man eine Figur eines Mobiles an, fangen plötzlich alle Figuren an, sich zu bewegen. Konkret: ändere ich einen Gang, ändern sich tatsächlich ausgesprochen viele andere gleich mit. Und nicht etwa in dieselbe Richtung. Das geht wild durcheinander, unvorhersehbar. Also meine Abstraktionsleistung jedenfalls ist überfordert.

Nicht-linearer Prozess

Ich habe das ZF-Getriebe auch in Excel nachvollzogen, aber -- anders als bei der 7G-Tronic -- bin ich krachend gescheitert. Also die bestehenden Übersetzungen kann ich alle nachrechnen, das ist nicht das Problem. Ich finde keinen Einstieg in eine gezielte Veränderung. Ich vermute, dass das daran liegt, dass es einen solchen Einstieg nicht -- nicht mehr -- gibt. Das ist der Preis dieser schönen neuen Getriebewelt und das, was ich mit nicht-linearer Vorgehensweise meine. Man kann nicht mehr hingehen und sagen: ich möchte den Sprung vom 7. zum 8. Gang verkleinern. Denn, wenn man das tut, den 8. Gang also verkürzt, verkürzt sich auch der 2. Gang. Also auf jeden Fall der, ich habe das eben nur oberflächlich probiert. Dann aber wird der Sprung vom 2. zum 3. Gang größer, was man überhaupt nicht gebrauchen kann. Und so ist das mit jeder Änderung. Also stellt das Ergebnis wirklich die "am wenigsten idiotische" Lösung dar.

Die Spreizung wird größer, die Stufung jedoch kleiner

Vor allem aber ist zu beachten, dass die Vielzahl der Gänge nicht nur zu einer Vergrößerung der Spreizung geführt hat, sondern ebenso zu einer Verkleinerung der Sprünge, also Stufen. Das heißt nicht weniger, als dass alle Sprünge viel kleiner und damit besser sind als früher.

Die nach oben hin schön kleiner werdenden Stufen sind doch nur deshalb wichtig gewesen, weil die unteren Stufen für sich genommen immer an der oberen Grenze des erträglichen angesiedelt waren und diese Grenze das ist, was nach oben hin immer kleiner wird. Wenn man nun aber mit den vielen Gängen so kleine Stufen ermöglichen kann, dass jede Stufe für sich genommen einen gehörigen Sicherheitsabstand zu der im jeweiligen Geschwindigkeitsbereich passablen Grenze einhält, wird der Verlauf der Stufungen unbedeutend. Mit kleiner werdenden Stufen zunehmend unbedeutend. Mit anderen Worten: ist ein Gangsprung erst einmal klein genug, ist es doch vollkommen wurscht, ob er schön in eine Reihe passt, die ohnehin niemanden mehr interessiert. Der gerade in diesem Moment wahrgenommene Drehzahlsprung hört sich überzeugend an und daran ändern die anderen Stufen nichts. Im Gegenteil, sind doch diese anderen Stufen nicht weniger gelungen. So hat sich das Problem von selbst erledigt, ohne dass es besonders aufgefallen wäre.

Seien wir Realist: sich mit solchen Gangdiagrammen zu beschäftigen, ist im Grunde genommen nur noch eine nostalgische Gewohnheit und hat sich überholt. Was nicht heißt, dass ich mir das nicht trotzdem weiterhin ganz genau ansehen werde. Denn mir macht das Spaß. Eben jeder, wie er mag.

Möge es nützen

Peter

*) Ein 230 E kostete 26.724,50 DM, wie ich bei classic wiki gerade ergoogelt habe; also rund 16.914 Liter oder bei 12,5 und 10,3 l Verbrauch inner- bzw. außerstädtisch, durchschnittlich also 11,4 l, 148.370 km; ein E 200 kostet heute 40.430,25 Euro und verbraucht -- ebenso unrealistisch wie für den 230 E damals ermittelt, sodass sich die Fehler herauskürzen -- 6,5 l, verbraucht also 9.644 l für dieselbe Strecke. Würde uns also ein Kraftstoffpreis von 4,19 Euro pro Liter heute die gleiche Mobilität wie 1981 ermöglichen?)

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Zitat:

Original geschrieben von -The-Game-



Zitat:

Original geschrieben von filiushh


Dieser Benutzer ist auf Deiner Ignorier-Liste. Um diesen Beitrag zu sehen, klicke hier.

Genau das sehe ich jetzt auch. Das ist ja wie Urlaub.

Schließe mich der Bitte an. Bitte nicht zitieren!

Dito. Schließe mich an :-)

Ihr seid lustig. Ihr sollt nicht provozieren, sondern ignorieren! Und jetzt bitte wieder BTT!

Gab es das denn schon mal, daß so ein neues Automatikgetriebe anfangs nur bei einem Modell und einer einzigen Motorisierung angeboten wurde? Da kann man ja Angst kriegen...

Hoffentlich ist das kein Testballon!

Ja, die Einführung erfolgte immer Schritt für Schritt. Die 7g-Tronic kam damals zuerst bei den 500ern und dann, ein Jahr später, im SLK. Erst danach dann schrittweise mit den neuen V6 M 272 in allen anderen Daimlern. Es zog sich also zwei Jahre hin, bis sie in allen Daimlern mit Hinterradantrieb waren und dann noch mal mehrere Jahre, bis sie alle Motoren und auch den Allrad vollständig erobert hatte.

So bekamen die 4- und 12-Zylinder erst in letzter Zeit, also acht Jahre nach Marktstart, die 7g-Tronic.

Es gibt heute noch Modelle mit 5G Tronic 🙁

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Zitat:

Original geschrieben von Dr.Mabumsen


Es gibt heute noch Modelle mit 5G Tronic 🙁

Und selbst die bekommen mit ihrer Auffrischung im nächsten Jahr "nur" die 7G!

es gibt noch 5G??? Bei welchem Modell denn?

Zitat:

Original geschrieben von LegeinEi



Und selbst die bekommen mit ihrer Auffrischung im nächsten Jahr "nur" die 7G!

Warum das?

C-Klasse hat 7g.
E-Klasse hat 7g.
CLS-Klasse hat 7g.
CL-Klasse hat 7g.
S-Klasse hat 7g.
R-Klasse hat 7g.
M-Klasse hat 7g.
GL-Klasse hat 7g.
SL-Klasse hat 7g.
G-Klasse hat 7g.

Hmmmm.

@J.M.G.: Aber eben nicht an jedem Motor 🙁

Bei welchem Motor denn nicht?

Der Maybach hatte glaube ich bis zuletzt nur eine 5G. Aber den Dino hat man ja eingestellt.

CL 600 und CL 65 AMG.. also gerade die Modelle die wirklich richtig viel Geld bringen pro Verkauf!

Zitat:

Original geschrieben von LegeinEi


Gab es das denn schon mal, daß so ein neues Automatikgetriebe anfangs nur bei einem Modell und einer einzigen Motorisierung angeboten wurde?

Bei den 4-Zylinder-Diesel wurde der GLK zuerst mit der 7G-Tronic ausgerüstet - der W212 mit 4-Zylinder-Diesel hingegen musste damals noch eine Weile mit der 5-Gang-Automatik auskommen...

Zitat:

Original geschrieben von vahit28


sehrwohl Gibt es Die Fahrzeuge mit 4 Gang Automatik Bevorzugt bei Asiatischen und Amerikanischen Modellen Und Mehrverbrauch gibt es fast bis auf Dsg Immer nur im fall das der Fahrer wie ein idiot schaltet ist die Automatik Sparsamer.

Tja, bei den Amis gibt's wohl tatsächlich noch 4-Gang - hatte ich mich oben schon eines Besseren belehren belassen - auch wenn mir seit fast 10 Jahren keiner mehr über den Weg "gelaufen" ist. Asche über mein Haupt - hier habe ich wohl meine persönlichen Erfahrungen vorangestellt.

Die Aussage, dass eine moderne Automatik weniger als ein Schalter braucht, ist aber nach wie vor richtig.
Man müsste umgekehrt schon recht idiotisch fahren, um mit Automatik mehr zu verbrauchen. Bei den Benzinern ist der Verbrauchsvorteil markenübergreifend deutlich - beim Diesel Null bis minimal zugunsten der Handschalter. Die Unterschiede der Werksangaben ist aber auch beim Diesel so marginal, dass sich der Allltag zugunsten der Automatik auswirkt.

Zitat:

Original geschrieben von Dr.Mabumsen


CL 600 und CL 65 AMG.. also gerade die Modelle die wirklich richtig viel Geld bringen pro Verkauf!

Auch die 12-Zylinder bekommen alle die 7g-Tronic. Sowohl im SL 600, SL 65 als auch im G 65. Der CL 600 und CL 65 basiert ja noch auf der alten S-Klasse (die es auch nur mit 5g-Tronic gab). Der kommende CL wird (so mutmaße ich jetzt aufgrund des SL und des G) auch keine 5g-Tronic mehr haben. Und lange dauert es ja nimmer, bis zum CL Coupe.

Zitat:

Original geschrieben von J.M.G.


C-Klasse hat 7g.
E-Klasse hat 7g.
CLS-Klasse hat 7g.
CL-Klasse hat 7g.
S-Klasse hat 7g.
R-Klasse hat 7g.
M-Klasse hat 7g.
GL-Klasse hat 7g.
SL-Klasse hat 7g.
G-Klasse hat 7g.

Hmmmm.

Viano! 😁

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