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Mon Sep 26 20:14:33 CEST 2016    |    DoNuT_1985    |    Kommentare (40)

Wie schon in einem früheren Beitrag angerissen und auch als netter Kontrast zum vorhergehenden Mustang-Artikel, möchte ich heute mal - obwohl Fahrräder eigentlich nicht Kernkompetenz von Motor-Talk sind - ein paar Erfahrungen aus dem Alltag eines Radfahrers aus dem Blickwinkel eines eigentlich überzeugten Autobesitzers und -fahrers teilen.

 

Warum?

 

An sich eine gute Frage, die aber recht schnell beantwortet ist: Weil ich in Graz, also der zweitgrößten Stadt Österreich mit allerdings nur mit rund 350.000 Einwohnern und einem sich nur über ca. 10x10 Kilometern erstreckenden Stadtgebiet wohne und mein Arbeitsweg (6 km) jetzt nicht unbedingt die Paradedisziplin eines Diesel-PKWs wie meiner Jules ist. Kurz gesagt: der Motor wird kaum warm.

 

Des weiteren bin ich bekanntlich nicht komplett unsportlich und hab mir gedacht, ein wenig Radfahren (in guten Wochen 50-60 km) wäre doch eine nette Ergänzung zum Laufen, je nach Motivation und anstehenden Bewerben irgendwo zwischen 30 und 50 Kilometern pro Woche. Mit dem Auto dauert es bei günstigem Ampelverlauf eine knappe Viertelstunde, mit dem Rad 20-25 Minuten - und man hat auch gleich etwas Bewegung.

 

Die Umweltaspekte waren für mich kein Hauptargument, ich will zwar nicht wie der größte A***h auf Erden leben, aber es ist dann doch ein netter Nebeneffekt, wenn man das Auto in der Woche evtl. nur für längere Fahrten am Wochenende und 1x zum Einkaufen braucht. ;)

 

Welches Rad?

 

Pegasus!Pegasus!

 

Ich hatte da keine großen Ansprüche und war da auch nicht zu eitel, also fiel die Wahl auf ein einfaches Citybike von Pegasus, das mit allem Nötigen 399€ gekostet hat. Man sieht immer wieder schöne Retrobikes, E-Bikes oder auch Leute im Bürokleidung auf einem sauteuren Mountainbike, für mich war aber von Anfang an klar, dass es ein anspruchsloses Fortbewegungsmittel sein sollte und ....

 

  • Kratzer nicht wehtun sollten
  • Diebstahl kein Dilemma darstellt
  • Von vornherein alles Nötige dran sein soll - soll ja Leute geben, die sich dann erst wieder Licht, Notkotflügel usw. auf ein nacktes Rad basteln

 

Erste Erfahrungen

 

Zunächst denkt man, es wäre mühsam, im Straßenverkehr mitunter etwas haarig und einem nach wenigen Tagen zu blöd, aber ich hab recht schnell einen gewissen Ehrgeiz entwickelt, mit dem Rad zu fahren, sofern es das Wetter zulässt. Der geringe Zeitverlust ist absolut zu verschmerzen und aufgrund der guten Verfügbarkeit von Radwegen (ich würde mal sagen 75%, wenn man die Busspur auf der Kärntner Straße mitzählt) ist es zumeist auch stressfrei.

 

Die ersten Tage ist man mal damit beschäftigt, wie ein Radfahrer zu denken und die "optimale" Route zu verinnerlichen. Sehr schnell merkt man, dass wie beim Autofahren in manchen Situationen die Grauzone der schnellere Weg ist, ein wenig fährt im Hinterkopf doch immer mit, dass man gerade im Zusammenspiel mit PKWs aber immer den Kürzeren zieht und eine eventuelle Schuldfrage ein schwacher Trost ist, wenn man 20 Meter durch die Luft fliegt und die nächsten paar Monate höchstens Rollstuhl fährt.

 

Mal in Fahrt ist man gerade innerorts nicht sehr viel langsamer als ein Auto im Morgenverkehr, ich hab keinen Radcomputer und noch keine Fahrt mit der GPS-Uhr getrackt, aber in der Ebene im höchsten Gang dürfte man doch auch irgendwo im Bereich zwischen 20 und 25 km/h unterwegs sein.

 

Nervig ist nur, wenn man versucht, möglichst "korrekt" unterwegs zu sein und gefühlte die Hälfte seiner Zeit an Ampel verbringt, um möglichsten den Radwegen zu folgen und ja nicht auf der Straße zu fahren - man lernt schnell, um flüssig voranzukommen, muss man zwischen beiden Welten pendeln. ;) An den geeigneten Stellen vom Radweg runter, eine Kreuzung inmitten von gestressten Müttern in Touran und Co. queren, wieder auf den Radweg usw... wenn man sich dabei nicht wie ein Vollhonk verhält und z.B. an Kreuzungen einen leichten Schlenker nach rechts macht, damit die ersten zwei Autos gleich mal vorbeikönnen, läuft das relativ friktionsfrei ab und ich bin bis jetzt noch kaum niedergehupt oder beschimpft worden.... dazu aber später mehr.

 

Die Rückschläge und kleinen Ärgerlichkeiten

 

Im Großen und Ganzen ist ein Fahrrad natürlich ein relativ anspruchsvolles Fahrzeug, was aber nicht heißt, dass man über den Zeitraum vom mehreren Monaten nicht auch das eine oder andere Problemchen haben kann.

 

Anfangs ging es richtig gut, dann hatte ich etwas Luftverlust im Vorderreifen, beim Versuch diesen mit einer alten Pumpe auszugleichen, verlor der Reifen gleich noch etwas mehr und ich lernte, dass es abhängig vom Radtyp und Hersteller gleich drei Ventiltypen gibt, nicht nur den zu Autoreifen kompatiblen - meins hat ein Dunlop-Ventil, wofür ich dann auch gleich eine passende Standpumpe für die Garage besorgt habe, um nicht weiter auf der Felge zu fahren.

 

Hin und wieder sprang bei etwas blöd gewählten Schaltvorgängen auch die Kette ab, was sich in den Fällen aber durch Rücktreten und Rauf/Runterschalten beheben ließ.

 

Eines schönen Tages dann der erste Defekt: ich wollte mich zusammen mit einem Arbeitskollegen aufs Rad schwingen und nach Hause fahren, allerdings wär ich dabei fast auf die Fresse gefallen, weil der im Vergleich zu vorher verdammt platte Reifen auf den ersten Metern einen ungeahnten Rollwiderstand hatte. Toll, wenn einem sowas um 17 Uhr ca. 6 Kilometer von der eigenen Haustür passiert. Zum Glück war das Radgeschäft, bei dem ich meinen Drahtesel gekauft habe innert 15 Gehminuten und sie konnten mir den von einem Nagel punktierten Schlauch noch vor Ladenschluss tauschen.

 

Nun ging es wieder ein paar Wochen, bis mir heute wieder die Kette absprang, dieses Mal half ließ sie sich aber nicht mehr richtig in Positionen bringen und der Versuch hat mir dann die Schaltgabel (oder wie immer man das Teil am Zahnkranz nennt) nachhaltig verbogen - wieder hatte ich Glück, dass ich es noch vor 18 Uhr zum Radgeschäft geschafft habe. :D :D :D

 

Wenn es auch meist streitfrei und reibungslos durch den Verkehr geht, ein paar ärgerliche Szenen gab es in dem knappen halben Jahr dann doch. Meist betraf es Auffassungsunterschiede darüber, wie ich mich als Fahrradfahrer im Verkehr zu verhalten habe... so zum Beispiel der Zuruf eines Kombifahrers, "Für wos homma den Radlweg???", weil ich meist drauf verzichte, einen weniger als 100 Meter langen Radstreifen zu verwenden, an dessen Ende ich direkt in eine Kreuzung ohne Tafeln und Kennzeichnung einfahre und keiner so recht weiß, wer nun eigentlich Vorrang hat. ;)

 

Daher bleibe ich meistens auf der Straße im Verkehr: "ultrakorrekt" würde ich auf ca. 500 Meter Fahrweg zweimal per Schutzweg und einmal ohne die Straßenseite wechseln, um jeweils für wenige Meter einen Radweg zu benutzen.

 

Und das zweite Thema sind Schutzwege/Zebrastreifen - solange es eine Ampel und oder einen gekennzeichneten Radstreifen gibt, meist kein Thema, man kann am Sattel sitzen und normal queren. Steht man allerdings am einem Schutzweg an einer Durchzugsstraße, kann das zum Geduldsspiel werden.

 

Zugegeben, ich bin mir nicht 100% sicher und es mag sein, dass man hier wohl absteigen und rübergehen müsste, aber ich bleibe wie jeder Fußgänger stehen, steige mit den Füßen ab und vergewissere mich, dass die ankommenden Fahrzeuge verzögern, worauf ich dann langsam anrollen und queren kann. Allerdings scheinen es hier manche sehr genau zu nehmen und darauf zu "bestehen", dass ich absteige und schiebe - anders kann ich es mir nicht erklären, dass manchmal 5 Autos hintereinander genüsslich vorbeiziehen, ohne irgendwelche Anstalten zu machen... ab und an (vor allem im Sommer bei offenen Scheiben) dann doch mal vom Zuruf "Absteigen!" begleitet. Ich winke dann meist nett und warte, bis jemand mir den Vorrang gibt und ich ohne Formalismus über die Straße kann. Hab ich als Autofahrer auch meist so gemacht, ich ramme ja auch keine anderen PKWs, weil sie zu spät blinken oder mich schneiden... :rolleyes:

 

Fazit

 

Alles in allem ist das Experiment geglückt und nach groben Nachrechnen habe ich meiner Giulietta seit Ende April ca. 800 Kilometer Stadtverkehr erspart. Schön langsam wird es in der Früh kühl, aber mit Jacke, Handschuhen und Stirnband ist es bei trockenem Wetter auch bei Temperaturen um die 5°C noch erträglich, sodass ich die Radfahr-Saison wohl noch einige Wochen auskosten werden, bevor ich auf die beheizte Kabine umsteige - komplett einwintern möchte ich mein mattschwarzes Biest aber voraussichtlich nicht, es gibt immer wärmere Tage... ;)

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Fri Jul 16 18:47:57 CEST 2021    |    DoNuT_1985

So geht's, mittlerweile bin ich 2 Saisonen bis auf ein paar schneematischige Tage durchgefahren und hab 2 Rennräder, auf denen ich seit 2017 ungefähr 15.000 km abgespult hab.

 

@jottlieb hatte natürlich recht. Wenn du mehr auf Rennrädern mit 7-8 Kilo fährst, willst du irgenwann auf kein 18-Kilo-Stadtrad mehr steigen, deswegen fahr ich mit dem Winterrad (Campagnolo) zumindest in der warmen Jahreszeit in die Arbeit.


Deine Antwort auf "#43 - Radlergeschichten..."