650 Kilometer im McLaren 650S

Eine Reise an die Grenze von 650 PS

Philipp

verfasst am Sat Jul 26 09:01:57 CEST 2014

Best of 2014: Supersportwagen sind doch für die Straße viel zu schnell. Das dachte unser Redakteur Philipp Monse auch, und fuhr zu einer ganz besonderen Rennstrecke.

Die letzten 50 Kilometer waren die härtesten. Der McLaren gönnt sich eine Pause am Goodwood Circuit
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo

Goodwood Circuit - Es ist also alles Jamies Schuld. Jamie O'Leary vom Goodwood-Presse-Team. Eine Woche lang haben wir telefoniert, E-Mails geschrieben und versucht, die Sache wasserdicht zu bekommen. Es würde viel los sein auf der Strecke an diesem Tag, das hatte Jamie unmissverständlich klargemacht. Trotzdem wollte er mit den Marshalls reden, damit sie uns auf den Kurs lassen. Wir bräuchten schließlich nur ein paar Minuten; nur einmal über die Lavant-Gerade ballern und diese Fahrt fände ihr perfektes Ende.

Schöner Wagen, aber keine Zugangsberechtigung: Endet unser Roadtrip im Vorgarten des Goodwood Circuit?
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo

Nur für VIPs

Drei Marshalls am Eingang des Goodwood Circuit: Auf unser Bitten zückt noch mal einer das Walkie-Talkie. Es folgt englisches Gebrabbel mit schottischem Akzent. Keine Chance. Vielleicht nochmal Jamie anrufen? Er geht wieder nicht ran.

Endet es so? Im – zugegeben – sehr schönen Vorgarten der Rennstrecke, auf der Bruce McLaren vor 44 Jahren sein Leben verlor? Die Marshalls blicken mitleidig drein. Was können sie schon dafür. Nette Kerle, mit breitem Grinsen. Einer hat schlechte Zähne. Ein anderer plaudert: David Beckham sei gerade auf der Strecke. Er drehe einen Werbespot für Jaguar. Wie gesagt, keine Chance. Aber schönes Auto.

Hinter uns tickt der schneeweiße McLaren 650S. Unter der wackeligen Glashaube auf seinem Rücken (niemals öffnen, wenn man den Eindruck von Qualität bewahren will) wabert die Hitze hervor. Die letzten 50 Kilometer waren die härtesten.

Das kaum bezahlbare Auto (ab 231.500 Euro) sorgt für viele unbezahlbare Momente
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo

650 made me do it

Die Straßen waren nass und eng, das Heck nervös, der Schweißausbruch konstant. Es ging nicht anders. Dieser zweite Schub, der bei 5.000 Touren einsetzt und die Welt am Auto vorbei schiebt – man braucht ihn, hin und wieder und wieder...

So ist das immer, wenn das Ende absehbar ist; wie beim Kartfahren oder Snowboarden. Auf der letzten Abfahrt nochmal richtig Gas geben – und sich dann den Arm brechen.

Am McLaren ist nichts gebrochen - zum Glück. Aber die Tempolimits, nun ja. In Süd-England, genauer in West-Sussex, sieht man ständig Schilder mit einer Kamera drauf. Nur die Kamera sieht man nie. Und selbst wenn sie da wäre, in diesem Auto ist dir das irgendwann egal.

650 Kilometer im 650S

650 Kilometer haben wir mit dem McLaren 650S zurückgelegt. Vom Showroom in Düsseldorf zum Eurotunnel nach Calais, südlich an London entlang, am Werk in Woking vorbei und dann zum Goodwood Circuit.

Mit einem kaum bezahlbaren Auto wie dem 650S sind die unbezahlbaren Momente zahlreich: Die Anzugträger auf der Kö gucken, während man im Jeanshemd unter der Scheren-Tür abtaucht. Ein alter Engländer fragt, ob er nicht lieber weiterfahren solle und lacht dann heiser. Ein kleiner französischer Junge freut sich, weil er mal hinters Steuer darf. Doch am Ende geht es im 650S nur um eins: Einmal richtig die automobile Sau rauslassen.

Geschafft, nächste Station: Folkestone, England...
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo

Jeder Meter zählt

Mit 650 PS und 678 Newtonmetern im Rücken wird das Potential der speziell für den 650S entwickelten Pirelli P Zero Corsa MC1 schon in der Düsseldorfer Innenstadt an jeder Ampel getestet. Ja, prollig, total. Aber, wenn die Kilometer begrenzt sind, dann wird jede Sekunde existenziell, dann geht es um jedes km/h, um jedes zusätzliche Fauchen des 3,8-Liter-V8.

Wo bleibt die verdammte Autobahn? Schon nach wenigen Metern kommt die Ungeduld, viel zu spät die erste Auffahrt. Und dann geht das Heck quer. Kaum zu fassen, wie die Engländer das ESP ausgelegt haben; könnte auch sein, dass gar keins drin ist. Das Herz pumpt, der Hals ist nur noch ein Kloß. Den 650S nach ein paar Metern in die Planke geklatscht - das hätte gerade noch gefehlt.

Sobald das Heck wieder gerade steht, senkt man den Gasfuß erneut, diesmal behutsamer. Ruppiger Kandidat, der 650, viel schlimmer als ein 458 aus Maranello. Dabei hat die Sitzposition etwas von einem tiefergelegten Kleinwagen. Wie auf einer Bierkiste hockt man hinter dem abgeflachten Lenkrad; der Sitz geht nicht weiter runter.

Zwischen Eindhoven und Calais sank der Vebrauch auf rund 12 Liter. Plötzlich steigt er wieder an
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo

Sex auf der Autobahn

Egal, einmal mit 330 über die Bahn ballern, das ist Freiheit. Der 650 rennt theoretisch 333 km/h schnell. Ein Griff an die Drehregler in der Mittelkonsole und Fahrwerk sowie Lenkung verhärten. Auf Wiedersehen Nicken, Rollen, Gieren; Hallo Querrillen. Schnelle lange Autobahn-Kurven, in denen es Sportlimousinen langsam aus den Latschen hebt, nimmt der McLaren als seien es Geraden. Die direkte Lenkung macht einen zum Meister über den Asphalt. Alles ist möglich.

Nur mit der Freiheit ist das so eine Sache. Die Bahn ist voll, nicht frei. 160, 200, 230, dann fliegt erneut der Carbon-Keramik-Anker (394er-Scheiben vorn, 380er hinten). Im Rückspiegel stellt sich der Flügel auf und bremst die Fuhre zusätzlich runter. Theoretisch kann man mit dem 650S aus 200 km/h binnen 123 Metern zum Stillstand kommen, behauptet McLaren – eine beruhigende Info, wenn wieder ein Meriva mit Kindernamenaufkleber auf die linke Spur zieht.

Wenn Leute behaupten, die Fahrt im Supersportwagen sei wie Sex, dann meinen sie die Fahrt auf der Rennstrecke und sie meinen guten, aufregenden Sex. Auf der deutschen Autobahn wird die Fahrt zum unterdrückten PS-Orgasmus. Härter, schneller, dann wieder Bremsen, Rollen, Schleichen. Stop-and-Go in Fast Forward. Zum Höhepunkt kommt man nie. Unfassbar wie sehr reiche Menschen leiden müssen.

Die Straßen sind eng, die Kurven unübersichtlich. Doch der Gasfuß bleibt schwer
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo

Die Kilometer laufen ab

Schlimmer ist es nur in Holland – und Belgien – und Frankreich. Von vier Nockenwellen und 32 Ventilen bewegt sich die Hälfte scheinbar sinnlos. Der Biturbo hungert sich auf 12 Liter Durchschnittsverbauch herunter. Ziemlich genau das, was McLaren angibt. Respekt – hat das eigentlich im Dreizylinder-Focus schon mal jemand geschafft?

Auch egal, irgendwann merkt man, dass eine Sache schief läuft. Noch 100 Kilometer, 90, 80. Stockender Autobahnverkehr, englischer Vorstadtstau und Jamie geht einfach nicht ans Telefon. Wofür bezahlen sie den Mann eigentlich? Und was wird jetzt aus unserer Runde auf dem Goodwood Circuit?

Die englischen Landsträßchen sind ein Traum, wirklich. Die Sonne spiegelt sich im nassen Asphalt, Dampf steigt auf. Saftige Wiesen und Natursteinmauern fliegen vorbei. Alles wunderschön und gut, aber der McLaren, der gehört auf die Rennstrecke. Das spürt man; bei jedem Pfeifen der Turbos, bei jedem Quietschen der Reifen.

„The person you have called is temporarily not available“. Während man seinem Ziel näher kommt zerbröselt in Zeitlupe ein Traum. Fährt man in so einer Situation eigentlich schneller, oder langsamer? Schneller. Immer. Schneller.

Technische Daten – McLaren 650S

  • Motor: 3,8-Liter-Biturbo-V8
  • Getriebe: Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe
  • Leistung: 650 PS
  • Drehmoment: 678 Nm
  • DIN-Gewicht: 1.428 Kg
  • CO2: 275 g/km
  • Verbrauch: 11,7 l pro 100 km
  • Vmax: 333 km/h
  • 0-100 km/h: 3,0 s
  • 0-200 km/h: 8,4 s
  • Kofferraumvolumen: gering
  • Länge x Breite x Höhe in m: 4,51 x 2,09 x 1,20
  • Preis: 231.500 Euro
Schlüsselübergabe in Düsseldorf: MOTOR-TALK-Redakteur Philipp Monse nimmt den Schlüssel zum McLaren 650S entgegen
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo
Arbeitsplatz für 650 Kilometer: Es stellt sich heraus, dass die Sitzposition im 650S weniger "supersportlich" ist als bei der italienischen Konkurrenz
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo
V8-Biturbo-Kraft: 650 PS, 678 Newtonmeter
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Start!
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo
Der McLaren 650S auf der Düsseldorfer Kö. Die Leute fragen, was das für ein Auto ist. Als kleine Hilfe hat McLaren das Firmenlogo auf der Haube durch einen Schriftzug mit dem Firmennamen ersetzt
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo
Erst der Stadtverkehr, dann der letzte Tankstopp in Deutschland. Wann kommt die Autobahn?
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Im Grunde ist der McLaren 650S ein Facelift des 12C. Allerdings eines, bei dem 25 Prozent aller Teile erneuert wurden
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo
Die Front des 650S ähnelt der des Hyper-Sportwagens P1. Sie erzeugt 25 Prozent mehr Abtrieb als die des 12C
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo
Ja, man wird öfter angesprochen. Kurzer Plausch mit einem niederländischen Trucker
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo
Auch wer nicht fahren darf, freut sich über den McLaren
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo
Das kaum bezahlbare Auto (ab 231.500 Euro) sorgt für viele unbezahlbare Momente
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Zwischenziel Grenze. Die Heimat ruft
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo
Ein Bild mit Seltenheitswert: Der Brabus B63S ist teurer (573.000 Euro), wir sind schneller
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In der Falle: Die Fahrt in der Flunder hält einige Tücken bereit. Das Display kann man von unten nicht ablesen, die Hand reicht nicht zum Kartenschlitz
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Geschafft, nächste Station: Folkestone, England...
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... aber vorher warten wir wie alle anderen in der Schlange auf den Zug
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Das Warten bietet reichlich Zeit, den Exoten zu inspizieren. Engländer sind dabei deutlich offensiver als Düsseldorfer
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Nein, ihr könnt nicht weiterfahren. Aber schickes Sakko!
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Ein geübter Blick in die Karte. Über das McLaren-Navi wurde schon viel Schlechtes geschrieben - das meiste ist wahr
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Verladung von 230.000 Euro: Wir kommen zu den Kleinlastern - der 650S ist zu breit für das Auto-Abteil
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650 Kilometer im McLaren 650S
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650 Kilometer im McLaren 650S
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650 Kilometer im McLaren 650S
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Relax - we'll drive: Nach gut 400 Kilometern nimmt man dieses Angebot gerne an - für kurze Zeit
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Endlich: Grafschaft Surrey, die Turbos atmen Heimatluft
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo
Eine Zylinderabschaltung gibt es im 650S nur aus Performance-Gründen. Schaltet das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe hoch, schalten 2 Zylinder ab. Das hilft, die Drehzahl vor dem Wechsel in den nächsten Gang möglichst schnell abzusenken
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Die Straßen sind eng, die Kurven unübersichtlich. Doch der Gasfuß bleibt schwer
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo
Der Heckflügel des 650 fährt bei starker Beschleunigung automatisch ein, um den Luftwiederstand zu minimieren. Bei starkem Bremsen klappt er wieder aus und fungiert als aerodynamische Bremse
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo
Zwischen Eindhoven und Calais sank der Vebrauch auf rund 12 Liter. Plötzlich steigt er wieder an
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Kurzer Zwischenstopp am McLaren Production Center in Woking
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo
Der Abtrieb bei 240 km/h ist beim 650S 40 Prozent höher als bei seinem Vorgänger. Wir fuhren maximal Tempo 230 - auf der deutschen Autobahn
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo
Die Sitzposition ist seltsam: In einem Supersportler liegt man normalerweise, im 650S darf - oder muss - man noch sitzen
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo
650 Kilometer im McLaren 650S
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo
Das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe bekam ein Update. Der 650S schaltet besser als sein Vorgänger
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo
Wieder und wieder Anrufe bei Jamie. Goodwood rückt in weite Ferne, je näher wir kommen
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo
650 Kilometer im McLaren 650S
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo
Ziel!
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo
Angekommen: Durch diesen Tunnel geht zu den Boxen in Goodwood
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo
Schöner Wagen, aber keine Zugangsberechtigung: Endet unser Roadtrip im Vorgarten des Goodwood Circuit?
Quelle: MOTOR-TALK, Harald Dawo