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Motorkultur

Wir werden von V8 Motoren erzählen. Schwere Monster aus Guss und Alu.

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Seit Jahren feiern Autohersteller auf ihren Messen immer umweltfreundlichere Fahrzeuge, die es im Einzelfall auch bis zu einem kaufwilligen Lehrer schaffen. Doch bevor wir morgen alle lautlos in Elektroautos an den Arbeitsplatz rollen, feiern wir noch einmal den V8 in seiner unvernünftigsten Ausdrucksform:

Als Roadster, offen, unterwegs in Sachen Lebenslust. Cruisen im Mercedes-Benz SL 500 durch die Toskana. Mit dabei: Nagelneue Eheringe und ein Tankstellen-Streik.

Toskana, Spontanität und V8.

Zugegeben, man hätte das Thema Hochzeitsreise auch anders lösen können. Einfach einen Flug in Richtung Sonne buchen, gutes Hotel mit Spa-Bereich, eventuell Mietwagen. Doch da beginnt es schon haarig zu werden. Auf sämtlichen spanischen Inseln gibt es vor allem französische Kleinwagen im Angebot. USA? Wenn ich an zwei Wochen muffelige Plastikwüste aus dem Hause General Motors denke, bereue ich die Hochzeit bereits nach wenigen Tagen. Die Koordinaten fürs Glück lauten also Toskana, Mercedes-Benz SL 500 und Spontanität. Wer das ganze Jahr controlliert, will wenigstens im Urlaub hirnlos durchs Leben lenken.

Der schwarze SL 500 zählt zum Familienfuhrpark, ist acht Jahre alt schläft hauptberuflich in einer blitzblanken niedersächsischen Garage und freut sich auf jeden Ausflug. Der Tacho zeigt knapp 100.000 Kilometer, was aber nicht stimmen kann: Er fühlt sich an wie ein Neuwagen und unehrliche Vorbesitzer gibt es keinen.

Trotz der Aussicht auf 14 Tage Sonne geht kurz nach der Begrüßung das Dach nicht auf, da die alterssschwache Batterie mal eben den Anlasser in Bewegung setzen kann, danach verweilen sämtliche Komfortelemente im Notprogramm. Zwischen Norddeutschland und dem ersten Stop am Ammersee lernt der SL erst mal wieder Fahren. Die Achsen ächtzen bei jedem verkehrsberuhigenden Schwellkörper, der Wagen wirkt wie im Tiefschlaf gestört. Können Autos schlafen? Bestimmt, deshalb ist an Tag 2 das volle Trainingsprogramm angesagt. Erste Übung: Dach auf, und zwar zackig!

Man muss die Seenlandschaft im Süden von München mögen. Blumentröge vor dem Fenster sind hier sehr wichtig, der Straßenverkehr wird von sämtlichten touring-Modellen der lokalen Motorenwerke dominiert. Der Bayer mag das. Noch ein Kaffee im Hotel, dann ab gen Italien.

Streik.

Der Italiener gilt als lebensbejahender Mensch. Ich mag seine Neigung zu jedem noch so dämlichen Modetrend, rasant wechselnder Sonnenbrillenmode und das Schmuddelige im Detail. Und er versteht es, einem die Augen für Sinnfragen zu öffnen. Warum? Warum baut nur Alfa in der gesamten Modellpalette umwerfend schöne Autos? Warum finden Menschen Ferrari toll? Warum schmeckt unter italienischer Sonne der letzte Fusel wie erstklassiger Rotwein?

Unser stärkstes Warum-Moment trat bei der Tankstelle auf. Italiens Tankstellenbetreiber haben nämlich zum Auftakt unserer Flitterwochen beschlossen, zur Abwechslung mal wieder zu streiken. Aus, zu, kein Sprit mehr da. Irgendwann sind die Tanklager leergerüsselt, dann ist Ende.

Pendler haben zu Tankstellen und Benzinpreisen ein anderes Verhältnis als Gelegenheitspiloten im Mercedes SL. Pendler rechnen alles in Supermarkt-Sonderangebote; SL-Piloten überlegen, ob sie die Tank-Flutung mit Amex oder Visa bezahlen. Oder doch mit der Tankkarte von der eigenen Firma. Der hektische Blick zur Tankuhr eint, wenn der Kraftstoff knapp wird.

Natürlich hat jeder einmal gelesen, dass der Sprit auf unserem Globus knapp wird. Irgendwann. Die Schätzungen sind so ungenau, dass sie mich nicht ernsthaft interessierten. Ich glaube auch nur bedingt an spürbaren Folgen der Erderwärmung. Erstarrt Deutschland, wenn rund um Weihnachten eine handbreit Schnee auf den Straßen liegt, schweigen die Stimmen der Gutmenschen. Und, auch wenn diese Outing ein Eigentor sein kann: Ich interessiere mich nicht für Hybridautos. Autos mit Elektroantrieb oder anderen spaßraubenden Features. Das ist vielleicht nicht sehr schlau, doch so bin ich eben.

Ein Tankstellenstreik simuliert erstklassig, wie eine Welt ohne zuverlässiger Spritversorgung aussehen wird. Erst gibt es im Radio kein anderes Thema. Dann werden die Warteschlangen vor den Zapfsäulen länger. Bis die ersten am Straßenrand mit Kanister hantieren. Es leise wird und Fußgänger ohne zu zögern die Straßen überqueren.

Still wird es werden, wenn alle Zapfsäulen trocken sind wie ein Tafelschwamm in den Sommerferien. Unser Toskana-Trip war nicht mehr als ein Draft dieses Endzeit-Szenarios. Machte aber nachdenklich. Unsere Generation, also Männer die noch die Mauer erlebt haben und bereits an Haarausfall leiden, hat Glück. Nicht in Sachen Renten: Wir werden Arbeiten bis zum Umfallen. Aber in Sachen Fortbewegung. Vieles werden wir mal Kindern und Enkelkindern erzählen, sie werden es nicht mehr kennen und verstört wirken, wie beim Anblick eines Telefons mit Kabelverbindung zur nächsten Wand.

Damals.

Wir werden von V8 Motoren erzählen. Schwere Monster aus Guss und Alu. Übermotorisierte Autos mit der Aufgabe, ohne Achtung der Ressourcen wenige Menschen zu transportieren. Mercedes SL! Acht Zylinder wurden mit 98 Oktan vollgepumpt, nur um bei offenem Verdeck Oma und Opa nach ihrer Hochzeit durch die Toskana zu bewegen. Kinder, was waren das für Tage! Wir hielten in den Weinbergen, tauschten verliebt Küsse, im Motorraum knackte die Hitze die Wärmeleitbleche lang. An der Ampel das Getriebe auf N gestellt, ein kurzer Gasstoß, eine Vibration durch den Wagen, erotisch irgendwie, infantil, wunderschön.

Wir wurden selten überholt in diesen Tagen, manchmal von mutigen, lebensverneinenden Motorradfahrern. Ja, Motorrad, kennt ihr wohl nicht mehr. Opa hatte 2011 auch eines, eine BMW K 1200 S. Den Zahlen-Buchstabensalat müsst ihr euch nicht merken, denn atemberaubend waren damals alle Motorräder. Da kämpfte man alleine gegen den Fahrtwind, spürte den Druck am ganzen Körper. 167 PS. 2,8 von Null auf 100 km/h. Sonntags drückte man früh am Morgen zum Abschied die Frau, stieg in die Lederkluft und ab in die Garage. Die ersten Kilometer noch wackelig durch die Stadt, dann langsam hochschalten, die Gänge ausdrehen. 100 km/h, 150, 200, 250, an guten Tagen 300 km/h. Den leeren Elbtunnel durchschoss man wie ein Projektil durch einen Gewehrlauf, immer den unglaublichen Klang im Ohr. Frühstück in einem kleinen Kaff am Land, dankbar gegen den Himmel geschaut.

Kinder, es waren schöne Jahre, damals. Bis der Sprit ausging und es leise wurde. Mal sehen, wie lange es noch dauert. Bis dahin gilt nur eines: Spaß haben bis zum letzten Tropfen. Die individuelle Mobilität in vollen Zügen genießen. Und täglich der Jam Session unter der Haube andächtig lauschen. Wir werden uns früh genug mit Hybridautos beschäftigen. Müssen.

 

Quelle: Chromjuwelen

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