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Meisterliche Schrauberinnen - Vier Frauen, die Schraubenschlüssel schärfer finden als Handtaschen

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Best of 2014: Vier Frauen aus zwei Generationen treffen sich mit MOTOR-TALK. Statt Getrieben werden Geschichten getauscht, mit dem Schmierstoff des Lebens.

Heidi Hetzer mit den drei Powerfrauen: Lina Van De Mars, Alicja Lundt und Michelle Marx Heidi Hetzer mit den drei Powerfrauen: Lina Van De Mars, Alicja Lundt und Michelle Marx Quelle: MOTOR-TALK

Berlin – Ein goldener Falter baumelt an einer feingliedrigen Kette an dem faltigen, sonnengebräunten Hals. Mit seinen dünnen Beinchen klammert er sich an das goldene Blatt, als wüsste er, dass er hier nicht hingehört. Denn eigentlich sollte am Hals von Heidi Hetzer etwas anderes hängen, ein goldener Opel-Blitz, besetzt mit fünf Brillanten.

13 Jahre, 4 Monate und 2 Tage blitzte er am Dekolleté der famosen Berlinerin. Bis zu dem Tag, an dem sie die Schlüssel und das Schicksal ihres Autohauses in die Hände der Konkurrenz legte. An diesem Tag verlor Heidi Hetzer ihren Kettenanhänger in ihrer Oldtimer-Garage und ließ 43 Jahre Opel hinter sich. Weder ihr Sohn noch ihre Tochter wollten den Familienbetrieb weiterführen. Sie selbst war 75 Jahre alt. "Ich wollte, dass meine Mitarbeiter versorgt sind, falls ich einfach umkippe", sagt sie. Aus Hetzer wurde Dinnebier, aus ihrer Oldtimergarage gegenüber ein Rewe, aus der Unternehmerin eine Ikone.

Michelle ist Kfz-Mechatronikerin. So alte Technik hat sie noch nie gesehen Michelle ist Kfz-Mechatronikerin. So alte Technik hat sie noch nie gesehen Quelle: MOTOR-TALK

Vier Frauen, eine Leidenschaft

Heidi Hetzer, das ist eine bärenstarke Frau mit Berliner Slang und einem Mundwerk, das so schnell klappert wie die Ventile eines Motors. Heidi Hetzer, die bereits 1975 den Berliner Autoclub für Frauen (BAFF) gründete, lädt heute zum automobilen Frauengipfel, mit Kult-Moderatorin Lina Van De Mars und zwei jungen Kfz-Meisterinnen. „Es ist klasse, wenn die Grand Dame der Mechanik auf Mechatroniker stößt“, sagt Lina. „Sie musste noch Motoren auseinander nehmen und wissen, wie man sie zusammen baut. Heute muss man Fehlerspeicher auslesen und sich mit Elektrik auskennen. Es treffen also zwei Felder aufeinander, die definitiv voneinander lernen können.“

Michelle Marx und Alicja Lundt sind Kfz-Mechatronikerinnen mit Meisterabschluss. Beide arbeiten im Betrieb ihrer Väter. „Schon wieder sind es die Eltern. Immer sind es die Eltern, genau wie bei mir“, sagt die 76-Jährige mit einem Hauch Frustration. Sie wünscht sich, dass junge Frauen so selbstverständlich in der Werkstatt arbeiten wie in einem Kindergarten. Die Hebebühne soll eine Herzenssache sein, kein Erbstück.

Schrauben, reparieren, diagnostizieren

Alicja schüttelt den Kopf. Sie hat nicht zum Drehmomentschlüssel gegriffen, nur weil ihr Vater ihn ihr gereicht hat. Auch Michelle winkt ab. Vor allem ihre Mutter war gegen die Berufswahl und riet der jungen Frau, „etwas Vernünftiges“ zu lernen, mit Hand, Fuß und vielen Zahlen. Michelle wurde Bankkauffrau, glücklich wurde sie nicht.

Die junge Blondine mit dem pfälzischen Dialekt will in die Werkstatt. Sie will schrauben, reparieren, diagnostizieren, sich die Hände schmutzig machen. „Ich bin mir für nichts zu fein“, sagt sie und betritt einen Weg, den ihr Vater für sie geebnet hat. Ausbildung, Meisterlehrgang, Prüfung. Die kleine Frau ist zielstrebig und erfolgreich. Sie absolviert die Meisterprüfung besser als ihre 131 Mitstreiter. Das ist einmalig. Zum ersten Mal in der Geschichte der Handwerkskammer Koblenz, seit 114 Jahren, wird eine Frau die Jahrgangsbeste.

In die Latzhose und in die Porsche-Werkstatt

Alicja Lundt (rechts) zeigt Michelle ihre liebste Arbeit: Die an der Bremse Alicja Lundt (rechts) zeigt Michelle ihre liebste Arbeit: Die an der Bremse Quelle: MOTOR-TALK Auch Alicja Lundt plant ihre berufliche Laufbahn zunächst ohne Schraubenschlüssel und Bremsstaub. Sie verliebt sich in einen Bestatter und möchte gerne Anwältin werden. Ihr älterer Bruder studiert BWL. Die Zukunft des Familienunternehmens im Berliner Südwesten wackelt. Das ändert die Lebenspläne von Alicja. Kurzentschlossen wirft sie sich in eine Latzhose. Statt trockenen Paragrafen widmet sie ihr berufliches Leben kaltem Blech, den Porsche in der väterlichen Werkstatt.

Ihr Vater ist der Obermeister der Berliner Kfz-Innung. Als Alicja ihm von ihrem Vorhaben erzählt, schüttelt er den Kopf. „Bist du verrückt? Mach das nicht“, sagt der erfahrene Kfz-Meister. Doch die große Frau mit den dunklen Augen hat ihr Ziel fest im Blick. Sie tut, was sie tun möchte, lebt, was ihr seit 20 Jahren vorgelebt wurde, und geht den Weg ihres Vaters, auch wenn dieser für eine junge Frau viel steiniger sein kann. Vielleicht will ihr Vater sie beschützen, ganz sicher ist er stolz auf sie.

An die Spitze des Autohauses

Als Heidi Hetzer 1954 mit ihrer Ausbildung beginnt, liegt ein unbeackertes Stück Land vor ihr. Niemand kann sich eine Frau unter einer Hebebühne und an der Spitze eines Autohauses vorstellen. Niemand. Bis zu dem Tag im Jahr 1969 als ihr Vater stirbt. Mit einem Kleinkind im Arm nimmt sie das Zepter in die Hand und übernimmt die Rolle des Sohnes, den ihr Vater niemals hatte.

Zwei Jahre später wird sie erneut Mutter. Die Babytragetasche fährt im Opel GT mit zur Arbeit. In einem ausrangierten Büro stillt sie ihr Kind, das Autohaus nährt sie mit ihrem Unternehmergeist. Es wird unter ihrer Führung zum größten Opel-Händler Berlins.

Holprig? Schwierig? Nein, sagt Heidi Hetzer, ihr Weg war kein Hürdenlauf und keine Stolperfalle. Nur ungewöhnlich. „Wenn man ganz normal ist, keine feine Püppi, nicht geschminkt ist, sondern mitmacht, anpackt, kameradschaftlich ist, dann wird man akzeptiert“, sagt sie. Heidi Hetzer ist authentisch, witzig - und sie hat einen Motorroller. Ihre NSU Lambretta macht sie in der Männerwelt Werkstatt noch einzigartiger. Die Ausfahrten mit ihren Kollegen auf dem Soziussitz machen sie zur Kameradin.

Die vier Frauen in der Werkstatt von Lundtauto Die vier Frauen in der Werkstatt von Lundtauto Quelle: MOTOR-TALK

Die Nägel krallen in die Seife

„Ich liebe die Werkstatt“, sagt die 76-Jährige. Noch heute nimmt sie die Knarre und den Abzieher selbst in die Hand. „Der Vergaser ist mein Lieblingsbauteil. Da merkt man beim Fahren sofort, ob man alles richtig eingestellt hat.“ Ihrer Mutter gefiel es nicht, dass die Tochter ihre Nase tief unter die Motorhauben steckte. In der Werkstatt wurde berlinert, in der Werkstatt wurde die Tochter schmutzig. „Bevor ich morgens aus dem Haus ging, habe ich meine Nägel in die Seife gekratzt, damit nicht so viel Schmutz hängen bleibt“, sagt sie heute.

Alicja legt viel Wert auf ihr Äußeres und trägt manikürte Fingernägel mit weißen Spitzen. Damit bediente sie bei ihren männlichen Mitschülern in der Berufsschule in ein uraltes Vorurteil. Die Jungs schütteln den Kopf, belächeln sie. Heute kann sie darüber lachen und trägt nach wie vor gepflegte Nägel. Bei der Arbeit stecken ihre Hände ohnehin in Handschuhen, genau wie bei Michelle Marx. Muss es mal schnell gehen, dann packen die beiden auch ohne an.

Als Frau wird man erst als Meister ernst genommen

Berührungsängste haben sie nicht. Im Gegenteil. Alicja liebt das Arbeiten an der Bremse. Das ist einfach und geht schnell, auch wenn man sehr schmutzig wird. Kommt Michelle am Abend nach Hause, sieht sie oft aus, als hätte sie in der Ölwanne gebadet. Dann fragt ihr Freund: “Was hast du denn angestellt?“ Auch er arbeitet in einer Kfz-Werkstatt, auch er ist Meister.

Die beiden kennen sich schon seit dem Kindergarten. Heute träumen sie davon, einmal gemeinsam ein Getriebe zu wechseln, Bremsen zu entrosten und Fahrwerke zu tauschen, gemeinsam ein Autohaus zu leiten. Bis dahin ist Michelle Marx allein die Herrin in der Werkstatt ihres Vaters. Er hat vor fünf Jahren einen zweiten Betrieb gekauft, im rheinland-pfälzischen Ellenz. Dort gibt die 28-Jährige den Ton an. Ihr frisch erworbener Titel hilft dabei. „Als Frau wird man erst ernst genommen, wenn man den Meister hat“, sagt sie.

Mit dem Chef beim Abendbrot

Alicjas Ausbildung war schwer, schwerer als die der anderen Auszubildenden im Betrieb. „Ich hatte nie frei Heidi Hetzer als junge Frau in der Werkstatt. Bis heute schraubt sie gerne an Autos Heidi Hetzer als junge Frau in der Werkstatt. Bis heute schraubt sie gerne an Autos und ich musste immer länger arbeiten“, sagt sie. Während die anderen Azubis mit ihren Familien beim Abendbrot saßen, aß sie mit ihrem Chef. „Wärst du doch gestern früher ins Bett gegangen. Hättest du dich besser konzentriert.“ Gleichzeitig glauben ihre Kollegen, sie werde bevorzugt. Statt Hilfe trifft sie auf Ablehnung. Alicja zieht zu Hause aus.

Mit ihrem Beruf verändert sich ihr Körper. „Anfangs hatte ich spackeldünne Arme und konnte keine einzige Schraube lösen“, sagt sie. Dann kam der Kampfgeist und mit ihm die Muskeln. Heute wuchtet sie selbst große Carrera-Räder. Um Hilfe bittet sie nur, wenn es nicht anders geht.

Während ihre Freundinnen in schönen Sommerkleidern in Anwaltsbüros arbeiten, wechselt sie an deren Autos die Bremsbeläge. In solchen Momenten ist sie neidisch und stolz zu gleich. Könnte Alicja nochmal wählen, wie würde dieselbe Wahl treffen. Ob ihr Vater sie noch einmal ausbilden würde? Wohl nicht. Als Alicja ihren Gesellenbrief in der Hand hält, sagt er: Nie wieder ein Mädchen. Zu oft hat Alicja geweint, wenn er sie gemaßregelt hat.

Alle Klischees bestätigt

Einmal hat es die 27-Jährige selbst mit einer Frau in der Werkstatt versucht. Als ihr Vater nicht da ist, stellt sie gemeinsam mit ihrer Mutter eine Praktikantin ein. Nach drei Tagen erscheint diese nicht mehr, weil ihr die All ihre alten Pokale sollen nach ihrem Tod in die Presse und dann als Grabstein fungieren All ihre alten Pokale sollen nach ihrem Tod in die Presse und dann als Grabstein fungieren Quelle: MOTOR-TALK Arbeit zu anstrengend sei. „Da wurden alle Klischees bestätigt“, sagt Alicja. Seither setzt sie sich nicht mehr für den weiblichen Nachwuchs ein und bleibt die einzige Frau im Porsche-Stall.

Heidi Hetzer hat sich immer eine Auszubildende gewünscht. Ihr Werkstattleiter nicht. Nach Jahren erfährt sie, dass er weibliche Bewerber mit der Begründung ablehnte, es gäbe keine separate Toilette. Eine Lüge. Heidi Hetzer stellt mehrere Azubinen ein, keine bleibt in der Werkstatt.

Heute gibt es in den meisten Berufsschulklasse mindestens eine Frau, sagt Michelle. Unter den Kfz-Meisterinnen ist sie nach wie vor eine Exotin. Doch auch das wird sich noch ändern, glaubt Heidi Hetzer. Irgendwann werden Männer und Frauen gemeinsam und gleichberechtigt in Werkstätten arbeiten. Nicht gegeneinander. Miteinander.

Frauen sollen keine Männer werden. Die beiden Geschlechter sollen sich ergänzen. Dann wird Heidi Hetzer bereits tot sein, sagt sie. Auf ihrem Grab soll ein Stein stehen, geformt aus ihren mehr als 150 Rallye-Pokalen. Am liebsten in Autoform. Der Blitz wird dann immer noch dort ruhen, wo sie ihn verloren hat. Im Keller ihrer alten Oldtimergarage, ein Fossil, eingegossen in Beton.

Steckbrief Heidi Hetzer

Geboren 1937 in Berlin, Ausbildung zur Kfz-Mechanikerin 1954, Übernahme des Autohauses 1969, seit 1953 nimmt Hetzer an verschiedenen Rallyes teil, unter anderem an der Mille Miglia, 2012 verpachtet sie ihre beiden Autohäuser, im Juni 2014 startet sie zu einer zweijährigen Weltreise

Heidi Hetzer ist geschieden, hat zwei Kinder und besitzt 12 Oldtimer

Steckbrief Lina Van De Mars

Geboren 1979 in München, lebt in Berlin, Abitur, Studium der indischen Philologie und Kunstgeschichte, Ausbildung zur Kfz- Mechatronikerin, seit 2004 TV Moderatorin u.a. bei Sport1, DMAX, Kabel Eins, Pro7, seit 2013 moderiert Lina ihre eigene Radio-Sendung: "Mars, Cars, Stars" bei Star FM, 2014 fährt sie im ADAC Opel Rallye Cup

Lina ist Vegetarierin und Schlagzeugerin und besitzt mehrere Auto-Klassiker der 70er-Jahre

Steckbrief Alicja Lundt

Geboren 1987, Abitur, ab 2007 Ausbildung zur Kfz-Mechatronikerin im väterlichen Betrieb Lundtauto, ab 2010 Meisterschule

Privat fährt Alicja VW und einen alten Porsche 928 aus dem Jahr 1979

Steckbrief Michelle Marx

Geboren 1986, Ausbildung als Bankkauffrau, ab 2011 Ausbildung zur Kfz-Mechatronikerin im väterlichen Betrieb (Autohaus Marx), im Anschluss Lehrgang Kfz-Meister

Michelle Marx ist in der Handwerkskammer Koblenz als Jahrgangsbeste ab. Privat fährt sie einen Audi A3 von 1997

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