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Jubiläum: 20 Jahre Mercedes-Benz im Silicon Valley - Mercedes forscht im Dunstkreis von Google und Apple

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Vor 20 Jahren zog Daimler ins Silicon Valley. Denn dort werden Fragen beantwortet, bevor sie gestellt werden - und dort entwickeln Google und Apple ihre Autos.

Seit 1995 sitzt das Forschungs- und Entwicklungszentrum von Mercedes-Benz Nordamerika in Sunnyvale südlich von San Francisco Seit 1995 sitzt das Forschungs- und Entwicklungszentrum von Mercedes-Benz Nordamerika in Sunnyvale südlich von San Francisco Quelle: Oliver Schwarz

Von MOTOR-TALK-Reporter Ralf Schütze

Sunnyvale/USA - 1995 geht Mercedes-Benz als erster Autohersteller ins Silicon Valley. In der gleichen Woche leitet Netscape von dort aus den Siegeszug des Internet ein. 20 Jahre später hoffen die Schwaben am hippen Standort darauf, für den großen Coup mit Google oder Apple gerüstet zu sein.

„Apple arbeitet definitiv an der Entwicklung eines Autos. Dabei werden sie Partner brauchen“, sagt Arwed Niestroj, Präsident von MBRDNA. Die Buchstabenkombination steht für "Mercedes Benz Research & Development North America“ und damit für Daimlers Forscher und Entwickler am Puls der IT-Welt, im Herzen des Silicon Valley. Laut Niestroj ist Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche offen für Zusammenarbeit.

MBRDNA-Präsident Arwed Niestroj sieht das Wachstum seines Unternehmens noch lange nicht am Ende MBRDNA-Präsident Arwed Niestroj sieht das Wachstum seines Unternehmens noch lange nicht am Ende Quelle: Oliver Schwarz

Zum Parken fährt das Auto von alleine

Doch was heißt das? Wird Mercedes zum Zulieferer für die IT-Riesen Google oder Apple? Mercedes stellt sich das sicherlich anders vor und hofft auf eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Schließlich arbeitet auch Mercedes an Zukunftsvisionen. Während Google den selbst fahrenden Pkw ins Rollen bringt, arbeitet in Sunnyvale Axel Gern samt seinem Team für Mercedes-Benz am autonomen Fahren.

Eine von Gerns Ideen: Der Fahrer steigt an einem belebten Zielort ohne Parkmöglichkeiten aus, das Auto fährt autonom zum entlegenen Parkplatz. Per App kann der Fahrer das Auto wieder ins Stadtzentrum rufen. So klingt autonomes Fahren wie Luxus und nicht wie Bevormundung. Doch Axel Gern betont: „Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.“

Die ethischen Aspekte des autonomen Fahrens untersucht MBRDNA zusammen mit der Stanford University. Denn: „An einem gewissen Punkt musst Du Gesetze übertreten“, sagt Gern. Zum Beispiel, wenn ein geparktes Auto eine Fahrspur blockiert und eine durchgezogene Linie das drumherum Fahren verbietet. Ein menschlicher Fahrer würde vorsichtig am Hindernis vorbei und dabei über die Linie fahren. Das muss auch ein autonomes System entscheiden können. Die Autohersteller seien laut Gern dabei, solche Regeln einheitlich aufzustellen.

Car2Go: Vom Silicon Valley in die ganze Welt

Die aktuelle Studie Mercedes IAA concept entstand bei MBRDNA in Sunnyvale Die aktuelle Studie Mercedes IAA concept entstand bei MBRDNA in Sunnyvale Quelle: Oliver Schwarz Nach Ansicht von Arwed Niestroj ist das Wachstum der Denkfabrik in Sunnyvale von anfangs 20 auf heute 240 Mitarbeiter noch lange nicht beendet. Wie keine andere Region weltweit stehe Silicon Valley für Innovation und Unternehmergeist. Die Nähe zu den IT-Giganten ermögliche es, „Fragen zu beantworten, bevor sie jemand überhaupt stellt“, sagt Ralf Lamberti vom MBRDNA.

Das gelang dem Unternehmen zum Beispiel im Jahr 2008 mit car2go. Das Autoverleihsystem kam zu einer Zeit, als noch kaum jemand auch nur das Wort "Carsharing" kannte. Heute ist car2go Weltmarktführer: In 30 Städten Europas und Nordamerikas sind rund 13.500 Smart verfügbar. Mehr als eine Million Kunden haben sich bisher mehr als 32 Millionen mal bei car2go bedient. Ein anderes Beispiel ist MBRDNAs Eigenentwicklung des völlig interentbasierten Infotainemtsystems „Comand“, inklusive 30 Apps in 28 Sprachen für 80 Länder.

Der Preis für den Standort ist hoch

Eric Larsen, zuständig für Gesellschafts- und Technologieforschung, spricht dem Silicon Valley eine unvergleichliche Kultur mit einer Mischung aus Risikobereitschaft, Schnelligkeit und Flexibilität zu. Jeder erdenkliche Spezialist sei in maximal 30 Autominuten erreichbar. Larsen wörtlich: „Hier im Silicon Valley siehst Du alles Neue zuerst.“

Zum Beispiel den Superchip Tegra X1 vom Mercedes-Partner NVDIA: Der schafft eine Billion Rechenoperationen pro Sekunde – ideal zum Beispiel, um das intelligente Infotainment der jüngst in Sunnyvale geschaffenen Mercedes-Studie „IAA Concept“ zu verwirklichen. Und es zeigt anschaulich die hohe Schlagzahl, mit der die Forscher in Sunnyvale und Umgebung unterwegs sind: Während Tegra X1 so groß ist wie ein Daumennagel, nahm ein ähnlich leistungsstarker Prozessor im Jahr 2000 noch die Fläche eines stattlichen Baugrundstücks ein (1.500 Quadratmeter) und verbrauchte 50.000 mal soviel Energie wie der Tegra X1 heute.

Nach 20 Jahren im Silicon Valley hofft Daimler darauf, den benachbarten IT-Riesen bei der Entwicklung ihrer Autos helfen zu können Nach 20 Jahren im Silicon Valley hofft Daimler darauf, den benachbarten IT-Riesen bei der Entwicklung ihrer Autos helfen zu können Quelle: Oliver Schwarz Preis des Standortvorteils im Silicon Valley: Mercedes-Mitarbeiter, die etwa vom Design-Center im südkalifornischen Carlsbad hierher umziehen, müssen häufig 2.000 Dollar mehr Miete für eine Wohnung zahlen. Ein kleines Familienhaus soll kaum für unter zwei Million Dollar zu bekommen sein. 2014 sind im Silicon Valley die Grundstückspreise im Vergleich zum Vorjahr um 50 bis 80 Prozent gestiegen. Kein Wunder also, dass hier die Dichte sogenannter „Größstverdiener“ mit über 30 Mio. Dollar Jahresgehalt die vierthöchste der Welt sei, direkt nach New York, London und Tokio.

Wenn die Maschine weiß, was der Mensch will

Aber junge Talente lassen sich davon nicht abschrecken, sondern genießen die beruflichen Möglichkeiten und den hohen Freizeitwert im nördlichen Kalifornien. Einer von ihnen ist „Connected Car“-Ingenieur Rigel Smiroldo, Spezialist für das „Machine Learning“: Die Instrumente sollen in bestimmten Situationen nur jene Funktionen anzeigen, die der Fahrer erfahrungsgemäß benötigt.

Das Wissen um die Vorlieben und typische Reaktionen des Fahrers eignen sich laut Smiroldo die Maschinen nach und nach an. So entwickle sich ein Vertrauensverhältnis zwischen Mensch und Maschine: „Der Entwickler sieht voraus, was die Maschine tun wird. Deshalb kann sich der Fahrer darauf verlassen.“ Erkenntnisse, die bald auch in ein gemeinsames Fahrzeug von Mercedes-Benz und Google oder Apple einfließen könnten. Oder wie Ralf Lamberti sagt: „Google sucht Partner. Natürlich könnte das ein bestehender Hersteller sein wie Mercedes-Benz.“

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