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Reportage: Archivar Arno Wagner - Ein Mann und 1.000 Ordner

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Arno Wagner archiviert und bewahrt für sein Leben gern. Sein Geschäft ist ein begehbares Autolexikon, wo man alles über Autos findet, wenn man nur weiß, wo.

Bonn - Auf dem Boden stapeln sich Zeitschriften über Autos, Mode, Politik. Dazwischen klemmen alte Prospekte. Der Weg von der Tür bis hinter den Schreibtisch ist eng, sehr eng. Nur mit dem sicheren Tritt einer Seiltänzerin kommt man problemlos durch den Laden von Arno Wagner.

Wer den nicht hat, bleibt besser am Eingang stehen - und staunt. Über die mit Spielzeugautos vollgestellten Regale, über die durchgebogenen Regalbretter, über die vielen Auto-Devotionalien - und über den Besitzer.

Mit System seit 1977

Arno Wagner ist spezialisiert auf automobile Sammelartikel, klassische Autoliteratur und Spielzeugautos. „Ich bin aber kein Sammler, ich bin Bewahrer“, sagt der 58-Jährige. Er meint das völlig ernst. Seit 28 Jahren kauft er Spielzeugautos und Autoliteratur auf Flohmärkten und Spielzeugbörsen. Nicht nur für sich, sondern auch für seine Kunden.

Wer zum ersten Mal den Laden betritt, glaubt, er sei im Herzen eines Messis gelandet. Doch schon nach ein paar Stunden mit Arno Wagner weiß man: das Ganze hat System. Alles ist fein säuberlich geordnet. „Es wird so viel weggeschmissen“, klagt der studierte Psychologe. „Ich bereite alte Informationen auf, sortiere sie und freue mich, wenn die einer wieder gebrauchen kann“. Ihn interessieren Sachen, die sonst keiner sammelt, sagt Wagner. Und das schon lange.

Er sortiert, heftet und kontrolliert

Mit 14 Jahren fühlt sich Wagner zu alt für Spielzeugautos und verstaut sie in Kartons. Die Faszination lässt ihn jedoch nicht los, so dass er sie sechs Jahre später wieder auspackt. Dabei stellt er fest, dass ihm noch wichtige Autos im Maßstab 1:43 fehlen, und so schlendert er 1977 das erste Mal über eine Spielzeugbörse. Das Sammelfieber treibt ihn an, Sonderfahrzeuge wie Polizeiautos und Leiterwagen begeistern ihn besonders.

Vier Jahre später mietet er sich seinen ersten Stand auf einem Flohmarkt. An- und Verkauf, nicht mehr als Hobby, sondern aus Passion. 1986 reicht der Platz zuhause nicht mehr aus und Wagner mietet seine ersten Geschäftsräume an. Tage und Nächte verbringt er dort, sortiert, heftet und kontrolliert seine Ordner. Nebenbei schreibt er die Diplomarbeit für sein Psychologiestudium. Nach ein paar Jahren muss er erneut in größere Räume ziehen.

Ein 45-Quadratmeter-Lexikon

Seit nunmehr 14 Jahren haust Arno Wagner in dem Geschäft in der Ermekeilstraße in Bonn. Jeder Zentimeter der 45 Quadratmeter großen Grundfläche ist belegt. „Der Laden ist ein begehbares Lexikon“, sagt Wagner, „Hier findest du alles – wenn du weißt, wo es steht“. Das Problem daran: Nur er weiß es.

In Schlabberpulli und verwaschener Jeans schlurft Arno Wagner durch seinen Laden, gießt sich einen schwarzen Kaffee ein und nimmt hinter seinem verbarrikadierten Schreibtisch Platz. „Es geht mir bei meiner Arbeit nicht um die Autotechnik, die ist mir fremd. Ich mag vielmehr das Kulturelle drum herum.“ Vergangenes Jahr hat er von einem Bekannten fünf Autoladungen mit über 100 Ordnern erhalten – die muss er noch bearbeiten, bis er sie zu seinen anderen weit über 1.000 dicken Ordnern stellen kann.

Ein paar Tausend Spielzeugautos

Seine sogenannten A-Ordner sind für Messen perfekt sortiert, meist chronologisch. Denn dort macht er den meisten Umsatz. Wie viele es genau sind, weiß er nicht. Auch nicht, wie viele Spielzeugautos sich in den Vitrinen, Regalen und Fächern stapeln. „Ein paar Tausend werden es wohl schon sein“, schätzt er.

In den Ordnern stecken Prospekte, Testberichte, zeitgenössische Werbung, Karikaturen und Comics. Alle Seiten sind mit kleinen Euro-Preisen ausgezeichnet, handschriftlich. „Da bin ich pedantisch“, sagt er. Das Porsche 911 G Modell-Prospekt kostet 3 Euro, das Flughafen-Feuerwehrauto 2,50 Euro und den amerikanischen Krankenwagen gibt es für 2 Euro.

Schneller als das Internet

Die Kunden scheinen die fairen Preise zu honorieren. Wenn sie ihn nicht auf einer Oldtimer-Messe treffen, dann kommen sie aus dem ganzen Bundesgebiet zu ihm nach Bonn. Denn einen Onlineshop hat Wagner nicht.

Arno Wagner hält nichts von moderner Technik. Das fortschrittlichste Gerät in seinen Räumen ist ein Telefon mit Wählscheibe und eine Schreibmaschine des Typs Triumph Adler T180. Ihr Spitzname: Gaby. „Ich möchte keine Maschine zum Bestandteil meiner Persönlichkeit machen“, sagt er.

Und begründet es mit der Evolution: „Der Mensch soll laufen und das Gehirn soll ohne Geräte denken. Ich will schneller sein als das Internet.“ Wenn man Wagner ein Stichwort gibt und ihm zusieht, wie schnell er den passenden Ordner aus dem Regal zieht, dann glaubt man, einen ebenbürtigen Gegner für das WWW gefunden zu haben.

Hinzu kommt: Wagners Gedächtnis ist gefüllt mit Detailwissen. Er weiß zum Beispiel, dass Oskar Schindler vor dem Zweiten Weltkrieg Rennen auf Moto-Guzzi gefahren ist. „Für so einen Laden benötigt man eine gute Allgemeinbildung“, sagt er.

Rund 80 Stunden arbeitet er pro Woche. Sein Laden ist dienstags bis freitags von 11 bis 20 Uhr und samstags von 11 bis 16 Uhr geöffnet. Nach Ladenschluss bleibt er meist bis tief in die Nacht sitzen, zerpflückt alte Hefte, sortiert und heftet die vergilbten Blätter ein.

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