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Ein „kleiner“ Bericht über die Abholung meines SL am anderen Ende von Deutschland

Mercedes SL R230
Themenstarteram 15. Oktober 2014 um 20:02

Mit einem online gebuchten 1. Klasse Ticket für 99 Euro ausgestattet fuhr mich meine Frau um 04.45 Uhr zum Bahnhof. Das Ziel: Die MB-Niederlassung Bremen. In meinem Gepäck befanden sich 2 nagelneue Kennzeichen und alle bereits per Mail/Fax/Post zugesandten Unterlagen zum voraus bezahlten Wagen. Mein erstes Transportmittel war ein Linienbus, der mich als exklusiven Fahrgast ins ca. 15 km entfernte Kleinstädtchen brachte, wo bereits der seeehr lange Zug in Richtung nächster Kreisstadt meiner harrte. Die grob geschätzten 5 oder 6 Waggons waren in Anbetracht der gestellten Aufgabe (wiederum nur die Beförderung (m)einer Person) leicht überdimensioniert. Nach 2 Minuten setzte sich die Fuhre in Bewegung und nach 2 oder 3 Zwischenstopps erreichten wir pünktlich diese Kreisstadt. Anfangs noch mit normalem Puls begab ich mich – wie aus dem off befohlen – linksseitig zu einem Ausgang. Nachdem sich dieser durch keinen der zahlreichen Riegel, Knöpfe und Hebel dazu bewegen ließ, mir freies Geleit zu geben, ging ich – bereits leicht beschleunigt – zur nächsten Türe, die aber in ihrer Bauart mit der ersten Türe völlig identisch erschien und sich – folgerichtig- auch gleich benahm. Mittlerweile bereits mit erhöhtem Blutdruck und beschleunigtem Puls sowie mehr laufend als gehend hastete ich durch den völlig menschenleeren Zug nach vorne und erblickte tatsächlich nunmehr eine wahrhaftig offen stehende Türe linker Hand voraus (ich wäre in diesem Moment auch rechts ins Bankett gehopst, wenn da was offen gewesen wäre). Als ich eben diese Türe erreicht hatte, begann sie – mich völlig mit Missachtung strafend - sich laut zischend zu schließen. Mit der letzten Kraft der Verzweiflung und einen Schadensersatzprozess billigend in Kauf nehmend setzte ich jedes meiner 98 kg ein, um dem unmenschlichen Mechanismus Einhalt zu gebieten und zwängte mich und meinen Rucksack mit letzter Kraft ins Freie.

Zehn Sekunden später setzte sich dieser Lindwurm aus Stahl auch schon in Bewegung und verschwand – Gott sei Dank ohne mich – im Dunkel.

Nach dem Wechsel von Gleis 3 zu 5 nahm ich in einem modernen knallroten 3-Teiler Platz, der bereits zur Hälfte mehrheitlich mit Schülern und Studenten besetzt war, die – ebenfalls mehrheitlich – Augsburg zustrebten. Dort angekommen hatte ich 20 Minuten lang Muße, mich zu orientieren. Laut Plan kam mein ICE 1132 oder 1122 aus Richtung München planmäßig an, die Wagen 1. Klasse - 38 und 39 – sollten zwischen den Buchstaben B und C zum Stehen kommen. Allerdings hätte ich diese Information auch zwanglos durch die Beobachtung meiner Mitmenschen gewinnen können. Etwa 2 Minuten vor der Ankunft des ICE versammelte sich eine ca. 20 köpfige, relativ homogen gekleidete und die selbe Wichtigkeit ausstrahlende Gruppe von Männern mittleren Alters, die quasi aus dem Nichts aufgetaucht waren, an eben jenem Punkt zw. B und C und enterte den pünktlich erscheinenden ICE mit emotionsloser Geschäftigkeit. Innerhalb von max. einer Minute hatte dann auch jeder seinen Platz gefunden und fast jeder begann bereits, seinen Laptop/Netbook zu booten.

Da meine letzte Zugfahrt bereits geraume Zeit zurücklag (2009 zur Abholung meines CLS) und ich zudem noch nie in einem ICE gesessen war, dauerte bei mir die Findungsphase etwas länger und verlief auch nicht völlig „fehlerfrei“. Nachdem ich mich an einem Tischchen platziert hatte und – man möchte ja dazu gehören – auch meinen Laptop hochgefahren hatte, setzte mich die freundliche Zugbegleiterin davon in Kenntnis, dass eben dieser Platz von Würzburg bis Hannover reserviert wäre, erkennbar an dem großzügig dimensionierten Display (2 x 10 cm) über dem Fenster. Um dem Umstand zu entgehen, im Verlauf der weiteren Fahrt möglicherweise ohne einen Sitzplatz wortwörtlich „da zu stehen“, begab ich mich nach vorne und nahm an einem 4-Sitzer mit Tischchen Platz, an welchem bereits einer dieser emotionslosen „Momo“-Männer sein Tagwerk begonnen hatte und eine Präsentationsseite nach der anderen abarbeitete, während er nebenher mit Knopf im Ohr halblaut seine Korrespondenz herunter spulte. Seine Mitreisenden würdigte er dabei keines Blickes, die zu erwartende Höflichkeit beherrschte er dennoch. Zu meiner linken saß eine ältere Frau, die ihrem Dialekt nach aus dem ältesten deutschen Freistaat stammte. Mit ihr ergab sich in der Folge eine amüsante Unterhaltung: 73 Jahre alt, verwitwet, den verstorbenen Gatten nach Schlaganfall die letzten 10 Jahre unter großen Opfern gepflegt, nun finanziell gesichert unterwegs zur 12. Kreuzfahrt mit einem gleichaltrigen Begleiter („wir haben nix mitnand“), dessen Funktion mehrheitlich darin bestand, den günstigeren Preis einer Doppelkabine ausnutzen zu können.

Über Würzburg, Fulda und Göttingen füllte sich der Wagen so übermäßig, dass ein guter Teil der Reisenden im Flur und zwischen den Wagons auf ihren Koffern Platz nehmen musste. Ursächlich dafür war die Tatsache, dass die Bahn der Ansicht war, dass an diesem Tag auch 2 Wagen weniger genügen würden, so dass sie diese einfach in der Garage ließ. Dies hatte zur Folge, dass Reservierungen z.B. für Wagen 37 sich zwar auf dem Ticket gut machten, im realen Zug aber nicht umsetzbar waren...

Die Hauptbeschäftigung des Schaffners bestand nun weitgehend darin, diesen Umstand wortreich zu entschuldigen und in die Tickets Stempel zu setzen, die dies bestätigen (wobei ich schätze, dass davon nicht einmal 1% tatsächlich ihre 4 Euro Reservierungsgebühr zur Erstattung vorlegen werden, da wäre ein Freibier im Restaurant für die Bahn erheblich teurer geworden)

Über unzählige Tunnels und Brücken arbeitete sich der ICE lautlos und gut gefedert in Richtung Norden vor. Mein Momo-Mann entstieg in Göttingen und es nahm dort eine Ordensschwester Platz. Die mit Abstand schäbigste Stadt – von den Schienen aus gesehen – war Hannover. Über Kilometer nur soziale Schieflage, Ruinen, Brachland und Ödnis. Ich hatte den Eindruck, die Ostzone wäre wieder auferstanden. Mittendrin ein riesen Klotz mit der haushohen Aufschrift „Ernst-August-Galerie“, die aber nichts mit dem gleichnamigen Prügelprinzen zu tun haben soll... und architektonisch das Niveau der niedersächsischen Metropole nicht merklich hob. Eben dort in Hannover wurde der ICE auch geteilt,die vordere Hälfte fuhr weiter nach Hamburg, die hintere Hälfte mit mir nach Bremen.

Mit großer Mehrheit handelte es sich ab da um Kreuzfahrer mit Riesenkoffern, die befürchteten (wir lagen gut 10 Minuten im Fahrplan zurück), ihren Anschluss nach Bremerhaven zu verpassen. Meine mit allen Schiffen bestens vertraute Nebensitzerin glänzte natürlich mit ihrem Wissensvorsprung und erläuterte jedermann geduldig die Vor- und Nachteile von Artania und Albatros, die an diesem Tag in verschiedene Richtungen ablegten.

In Bremen angekommen wünschte man sich noch eine gute Reise und die Gruppe verstreute sich. Das Gewirr an Menschen auf dem Bremer Bahnhof – oder besser gesagt der Einkaufszeile mit Gleisanschluss – erinnerte mich irgendwie an eine nordafrikanische Großstadt. Dieser Eindruck verstärkte sich dann noch beim Taxenstand. Der zuvorderst wartende E-Klasse Daimler in beige hatte erkennbar den Großteil seines Lebenszyklusses weit hinter sich. Der Fahrer selbst stammte augenscheinlich ebenfalls vom Südrand des Mittelmeeres, das Taxenschild Nr. 203 verwies auf einen Yussuf oder so ähnlich als Eigentümer und die nachfolgende Fahrt unter völliger Ignorierung der StVO hätte sich so auch in Kairo abspielen können.

Eine erste Duftmarke setzte der Daimler, als sich der Diesel beim Anfahren merklich verschluckte und ich zum ersten Mal die Funktion des Gurtes – positiv – testen durfte. Dies wiederholte er selbstredend bei jedem nachfolgenden Anfahren, nur war ich diesmal gewarnt. Danach wechselte die Mängelanzeige inmitten des Tachometers in loser Reihenfolge ihre Anzeige von „Licht hinten rechts defekt“ über „Bremsbeläge prüfen“ nach „Kühlwasser prüfen“. Alles noch in Gelb und ohne großes Trara. Als dann die erste rote Anzeige mit Trara erschien („Prüfen sie den Luftdruck“) wagte ich den zarten Hinweis, dass es für ihn ja ein regelrechter Glücksfall wäre, mich zur Mercedes-Benz Niederlassung fahren zu dürfen, da könne er sein Fahrzeug gleich da lassen...

Diesen nur teilweise witzig gemeinten Hinweis quittierte er mit einem unverständlichen Knurren und beschleunigte innerorts ungerührt auf 80 km/h. Da er mich auf kürzestem Weg (ich hatte vorher google-map bemüht) und wohlbehalten an meinen Bestimmungsort brachte, rundete ich die 13.10 € auf 15 auf und wünschte zum Abschied „salem aleikum“.

In der MB Niederlassung ging alles sehr freundlich und unkompliziert zu, die leicht überschminkte Dame am Empfang geleitete mich zum wartenden Verkäufer und bereits auf halbem Weg dorthin sah ich zwischen vielen anderen auf ihre neue Herrchen (oder Frauchen) „wartenden“ Karossen mein silbernes Schmuckstück zu mir herübergrinsen. Zumindet kam es mir so vor...

Da ich von meinem 2007-er CLS her die meisten Funktionen bereits kannte, beschränkte sich die Einweisung weitgehend auf das Dach, den Kofferraum und ein paar andere Petitessen und ich konnte mit einem überreichten Blumenstrauß für meine Frau und einem ¼ vollen Tank die Halle bald verlassen. Natürlich war der Wagen optisch wie frisch gepresst und ohne auch nur den geringsten Makel. Die einzige Gebrauchsspur waren vereinzelte Kratzer in der Türleiste der Fahrerseite. Es war alles auch sonst wie versprochen. Das Dach blieb selbstredend gleich offen. An der ersten Tankstelle wurde dann der Tank bis zur Kante gefüllt und los ging die Fahrt mit Scheiben hoch und Basecap auf dem Kopf. Der Bordcomputer war resetet, alles begann bei Null.

Mit meist 120 km/h ging es relativ staufrei die 743 km bis nach Hause, am Ende waren es mit einem Abstecher in die Altstadt von Rothenburg 7,5 Stunden und ein Schnitt von 100 km/h und das Ganze für 8,6 Liter/100 km. Ich war soweit zufrieden, mein Direkteinspritzer im CLS wäre auch nicht günstiger gewesen.

Das Ganze war jetzt vor genau 2 Jahren. Der Wagen übt auch heute noch und 20.000 km weiter eine große Faszination aus. Bereut habe ich den Kauf nie.

Klaus

Beste Antwort im Thema
Themenstarteram 15. Oktober 2014 um 20:02

Mit einem online gebuchten 1. Klasse Ticket für 99 Euro ausgestattet fuhr mich meine Frau um 04.45 Uhr zum Bahnhof. Das Ziel: Die MB-Niederlassung Bremen. In meinem Gepäck befanden sich 2 nagelneue Kennzeichen und alle bereits per Mail/Fax/Post zugesandten Unterlagen zum voraus bezahlten Wagen. Mein erstes Transportmittel war ein Linienbus, der mich als exklusiven Fahrgast ins ca. 15 km entfernte Kleinstädtchen brachte, wo bereits der seeehr lange Zug in Richtung nächster Kreisstadt meiner harrte. Die grob geschätzten 5 oder 6 Waggons waren in Anbetracht der gestellten Aufgabe (wiederum nur die Beförderung (m)einer Person) leicht überdimensioniert. Nach 2 Minuten setzte sich die Fuhre in Bewegung und nach 2 oder 3 Zwischenstopps erreichten wir pünktlich diese Kreisstadt. Anfangs noch mit normalem Puls begab ich mich – wie aus dem off befohlen – linksseitig zu einem Ausgang. Nachdem sich dieser durch keinen der zahlreichen Riegel, Knöpfe und Hebel dazu bewegen ließ, mir freies Geleit zu geben, ging ich – bereits leicht beschleunigt – zur nächsten Türe, die aber in ihrer Bauart mit der ersten Türe völlig identisch erschien und sich – folgerichtig- auch gleich benahm. Mittlerweile bereits mit erhöhtem Blutdruck und beschleunigtem Puls sowie mehr laufend als gehend hastete ich durch den völlig menschenleeren Zug nach vorne und erblickte tatsächlich nunmehr eine wahrhaftig offen stehende Türe linker Hand voraus (ich wäre in diesem Moment auch rechts ins Bankett gehopst, wenn da was offen gewesen wäre). Als ich eben diese Türe erreicht hatte, begann sie – mich völlig mit Missachtung strafend - sich laut zischend zu schließen. Mit der letzten Kraft der Verzweiflung und einen Schadensersatzprozess billigend in Kauf nehmend setzte ich jedes meiner 98 kg ein, um dem unmenschlichen Mechanismus Einhalt zu gebieten und zwängte mich und meinen Rucksack mit letzter Kraft ins Freie.

Zehn Sekunden später setzte sich dieser Lindwurm aus Stahl auch schon in Bewegung und verschwand – Gott sei Dank ohne mich – im Dunkel.

Nach dem Wechsel von Gleis 3 zu 5 nahm ich in einem modernen knallroten 3-Teiler Platz, der bereits zur Hälfte mehrheitlich mit Schülern und Studenten besetzt war, die – ebenfalls mehrheitlich – Augsburg zustrebten. Dort angekommen hatte ich 20 Minuten lang Muße, mich zu orientieren. Laut Plan kam mein ICE 1132 oder 1122 aus Richtung München planmäßig an, die Wagen 1. Klasse - 38 und 39 – sollten zwischen den Buchstaben B und C zum Stehen kommen. Allerdings hätte ich diese Information auch zwanglos durch die Beobachtung meiner Mitmenschen gewinnen können. Etwa 2 Minuten vor der Ankunft des ICE versammelte sich eine ca. 20 köpfige, relativ homogen gekleidete und die selbe Wichtigkeit ausstrahlende Gruppe von Männern mittleren Alters, die quasi aus dem Nichts aufgetaucht waren, an eben jenem Punkt zw. B und C und enterte den pünktlich erscheinenden ICE mit emotionsloser Geschäftigkeit. Innerhalb von max. einer Minute hatte dann auch jeder seinen Platz gefunden und fast jeder begann bereits, seinen Laptop/Netbook zu booten.

Da meine letzte Zugfahrt bereits geraume Zeit zurücklag (2009 zur Abholung meines CLS) und ich zudem noch nie in einem ICE gesessen war, dauerte bei mir die Findungsphase etwas länger und verlief auch nicht völlig „fehlerfrei“. Nachdem ich mich an einem Tischchen platziert hatte und – man möchte ja dazu gehören – auch meinen Laptop hochgefahren hatte, setzte mich die freundliche Zugbegleiterin davon in Kenntnis, dass eben dieser Platz von Würzburg bis Hannover reserviert wäre, erkennbar an dem großzügig dimensionierten Display (2 x 10 cm) über dem Fenster. Um dem Umstand zu entgehen, im Verlauf der weiteren Fahrt möglicherweise ohne einen Sitzplatz wortwörtlich „da zu stehen“, begab ich mich nach vorne und nahm an einem 4-Sitzer mit Tischchen Platz, an welchem bereits einer dieser emotionslosen „Momo“-Männer sein Tagwerk begonnen hatte und eine Präsentationsseite nach der anderen abarbeitete, während er nebenher mit Knopf im Ohr halblaut seine Korrespondenz herunter spulte. Seine Mitreisenden würdigte er dabei keines Blickes, die zu erwartende Höflichkeit beherrschte er dennoch. Zu meiner linken saß eine ältere Frau, die ihrem Dialekt nach aus dem ältesten deutschen Freistaat stammte. Mit ihr ergab sich in der Folge eine amüsante Unterhaltung: 73 Jahre alt, verwitwet, den verstorbenen Gatten nach Schlaganfall die letzten 10 Jahre unter großen Opfern gepflegt, nun finanziell gesichert unterwegs zur 12. Kreuzfahrt mit einem gleichaltrigen Begleiter („wir haben nix mitnand“), dessen Funktion mehrheitlich darin bestand, den günstigeren Preis einer Doppelkabine ausnutzen zu können.

Über Würzburg, Fulda und Göttingen füllte sich der Wagen so übermäßig, dass ein guter Teil der Reisenden im Flur und zwischen den Wagons auf ihren Koffern Platz nehmen musste. Ursächlich dafür war die Tatsache, dass die Bahn der Ansicht war, dass an diesem Tag auch 2 Wagen weniger genügen würden, so dass sie diese einfach in der Garage ließ. Dies hatte zur Folge, dass Reservierungen z.B. für Wagen 37 sich zwar auf dem Ticket gut machten, im realen Zug aber nicht umsetzbar waren...

Die Hauptbeschäftigung des Schaffners bestand nun weitgehend darin, diesen Umstand wortreich zu entschuldigen und in die Tickets Stempel zu setzen, die dies bestätigen (wobei ich schätze, dass davon nicht einmal 1% tatsächlich ihre 4 Euro Reservierungsgebühr zur Erstattung vorlegen werden, da wäre ein Freibier im Restaurant für die Bahn erheblich teurer geworden)

Über unzählige Tunnels und Brücken arbeitete sich der ICE lautlos und gut gefedert in Richtung Norden vor. Mein Momo-Mann entstieg in Göttingen und es nahm dort eine Ordensschwester Platz. Die mit Abstand schäbigste Stadt – von den Schienen aus gesehen – war Hannover. Über Kilometer nur soziale Schieflage, Ruinen, Brachland und Ödnis. Ich hatte den Eindruck, die Ostzone wäre wieder auferstanden. Mittendrin ein riesen Klotz mit der haushohen Aufschrift „Ernst-August-Galerie“, die aber nichts mit dem gleichnamigen Prügelprinzen zu tun haben soll... und architektonisch das Niveau der niedersächsischen Metropole nicht merklich hob. Eben dort in Hannover wurde der ICE auch geteilt,die vordere Hälfte fuhr weiter nach Hamburg, die hintere Hälfte mit mir nach Bremen.

Mit großer Mehrheit handelte es sich ab da um Kreuzfahrer mit Riesenkoffern, die befürchteten (wir lagen gut 10 Minuten im Fahrplan zurück), ihren Anschluss nach Bremerhaven zu verpassen. Meine mit allen Schiffen bestens vertraute Nebensitzerin glänzte natürlich mit ihrem Wissensvorsprung und erläuterte jedermann geduldig die Vor- und Nachteile von Artania und Albatros, die an diesem Tag in verschiedene Richtungen ablegten.

In Bremen angekommen wünschte man sich noch eine gute Reise und die Gruppe verstreute sich. Das Gewirr an Menschen auf dem Bremer Bahnhof – oder besser gesagt der Einkaufszeile mit Gleisanschluss – erinnerte mich irgendwie an eine nordafrikanische Großstadt. Dieser Eindruck verstärkte sich dann noch beim Taxenstand. Der zuvorderst wartende E-Klasse Daimler in beige hatte erkennbar den Großteil seines Lebenszyklusses weit hinter sich. Der Fahrer selbst stammte augenscheinlich ebenfalls vom Südrand des Mittelmeeres, das Taxenschild Nr. 203 verwies auf einen Yussuf oder so ähnlich als Eigentümer und die nachfolgende Fahrt unter völliger Ignorierung der StVO hätte sich so auch in Kairo abspielen können.

Eine erste Duftmarke setzte der Daimler, als sich der Diesel beim Anfahren merklich verschluckte und ich zum ersten Mal die Funktion des Gurtes – positiv – testen durfte. Dies wiederholte er selbstredend bei jedem nachfolgenden Anfahren, nur war ich diesmal gewarnt. Danach wechselte die Mängelanzeige inmitten des Tachometers in loser Reihenfolge ihre Anzeige von „Licht hinten rechts defekt“ über „Bremsbeläge prüfen“ nach „Kühlwasser prüfen“. Alles noch in Gelb und ohne großes Trara. Als dann die erste rote Anzeige mit Trara erschien („Prüfen sie den Luftdruck“) wagte ich den zarten Hinweis, dass es für ihn ja ein regelrechter Glücksfall wäre, mich zur Mercedes-Benz Niederlassung fahren zu dürfen, da könne er sein Fahrzeug gleich da lassen...

Diesen nur teilweise witzig gemeinten Hinweis quittierte er mit einem unverständlichen Knurren und beschleunigte innerorts ungerührt auf 80 km/h. Da er mich auf kürzestem Weg (ich hatte vorher google-map bemüht) und wohlbehalten an meinen Bestimmungsort brachte, rundete ich die 13.10 € auf 15 auf und wünschte zum Abschied „salem aleikum“.

In der MB Niederlassung ging alles sehr freundlich und unkompliziert zu, die leicht überschminkte Dame am Empfang geleitete mich zum wartenden Verkäufer und bereits auf halbem Weg dorthin sah ich zwischen vielen anderen auf ihre neue Herrchen (oder Frauchen) „wartenden“ Karossen mein silbernes Schmuckstück zu mir herübergrinsen. Zumindet kam es mir so vor...

Da ich von meinem 2007-er CLS her die meisten Funktionen bereits kannte, beschränkte sich die Einweisung weitgehend auf das Dach, den Kofferraum und ein paar andere Petitessen und ich konnte mit einem überreichten Blumenstrauß für meine Frau und einem ¼ vollen Tank die Halle bald verlassen. Natürlich war der Wagen optisch wie frisch gepresst und ohne auch nur den geringsten Makel. Die einzige Gebrauchsspur waren vereinzelte Kratzer in der Türleiste der Fahrerseite. Es war alles auch sonst wie versprochen. Das Dach blieb selbstredend gleich offen. An der ersten Tankstelle wurde dann der Tank bis zur Kante gefüllt und los ging die Fahrt mit Scheiben hoch und Basecap auf dem Kopf. Der Bordcomputer war resetet, alles begann bei Null.

Mit meist 120 km/h ging es relativ staufrei die 743 km bis nach Hause, am Ende waren es mit einem Abstecher in die Altstadt von Rothenburg 7,5 Stunden und ein Schnitt von 100 km/h und das Ganze für 8,6 Liter/100 km. Ich war soweit zufrieden, mein Direkteinspritzer im CLS wäre auch nicht günstiger gewesen.

Das Ganze war jetzt vor genau 2 Jahren. Der Wagen übt auch heute noch und 20.000 km weiter eine große Faszination aus. Bereut habe ich den Kauf nie.

Klaus

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8 Antworten

Hallo Klaus,

ich habe mich köstlich amüsiert über Deinen Bericht. Besonders die Taxifahrt in Bremen. Das kann Dir hier in Berlin aber auch passieren...

Warum hast Du aber zwei Jahre gewartet, bis Du uns an Deinem "Abenteuer" teilhaben lassen wolltest?

Na wie auch immer, Deine Freude kann ich verstehen, da meiner etwa gleich alt ist (mit 10.000 km mehr).

Jetzt solltest Du auch die Bezeichnung unter Deinem Avatar ändern: nicht R230, sondern R231.

Gruß

Robert

Hast du keine Hobby´s, Freunde, Frau, Geliebte ? Es tut mir ein bißchen leid... !

Gibt es keine Hobby - Sportpiloten in Deiner Nähe, welche Dich gegen eine Unkostenbeteiligung, - die müssen ja auch ihre Anzahl an Mindestflugstunden absolvieren - hätten eben mal nach Bremen rüber fliegen können?

Den Stress mit Anreise, hätte ich mir so erspart.

Jetzt solltest Du auch die Bezeichnung unter Deinem Avatar ändern: nicht R230, sondern R231.

Ich glaube,in diesem Bericht,handelt es sich um den Kauf eines R230 und nicht eines R231.

gwra

Hallo Klaus,

mir hat das Lesen Deines an Fleißarbeit grenzenden Berichts Spaß gemacht. In vielem konnte ich meine Erfahrungen mit der DB (und die beschränken sich glücklicherweise auch auf nur wenige PKW-Abholfahrten) wiedererkennen.

Interessieren würde es mich aber doch schon noch, ob es sich um einen 230 (wie im Titel angegeben) oder einen 231er handelt (jeweils Modell)? Muss bei dem angegeben Verbrauch aber wohl um einen 231er handeln..

Grüße

franz

Themenstarteram 16. Oktober 2014 um 11:09

Zur Klarstellung: Es handelte sich um die Abholung eines gebrauchten 230-ers, BJ 2007 (der aus meinem Profil), damals also 5 Jahre alt/jung. Den "Abholbericht" hatte ich damals zeitnah im SL R230-Forum eingestellt. Dort wurde er irgendwann gelöscht und auf meinen zahlreichen Sticks blieb er länger verschollen. Gestern Abend fiel er mir wieder zufällig in die Hände und aus einer Laune heraus stellte ich ihn - nur leicht überarbeitet (der Schluss) online.

 

Zum Verbrauch: mein Allzeitschnitt liegt lt BC bei genau 10,0 Liter. Am Sonntag bin ich 450 km aus Tschechien nach Hause gefahren, Schnitt genau 100 km/h, auf der BAB (2/3 der Strecke) meist Tempomat auf 130/140 in der Spitze 170, auf Landstraßen (1/3) bis Deggendorf meist 110, unterbrochen von Zugmaschinen und Kreisverkehren. Durchschnitt hier: 8,7 bei vorausschauender Fahrweise und teilweise fast leerer BAB (A 92).

armin-harald: ich empfand das gar nicht als Stress (bis auf das verhinderte Aussteigen), das war ansonsten Unterhaltung pur, eine volle Breitseite Leben eben, mittendrin statt nur dabei :-) und der ICE ist fahrtechnisch wirklich ein Genuss, umweltentkoppelt wie eine neue S-Klasse und ICH hatte ja einen Sitzplatz mit Tischchen!

Mit einer Sportmaschine eines Bekannten (1-motorig) bin ich schon geflogen, das hat mir nicht so besonders zugesagt, das wirkte damals alles nicht sonderlich vertrauenseinflößend...

autosammler24: deine unspezifische Fragestellung in diesem Zusammenhang versteh ich nicht wirklich und Leid tun muss dir nichts, zumindest nicht für mich.

schöne Grüße

Klaus

am 22. Oktober 2014 um 13:48

Hallo Klaus,

Sehr schön geschrieben, Danke!

Bin nur selten in dem Bereich, aber den Beitrag fand ich schön erheiternd und super geschrieben danke dafür!

Vieles aus Hannover/Bremen kann ich so richtig nachvollziehen:D

Außerdem gehöre ich zu den Bahnverweigerern-bin aber auch zum Glück nicht auf sowas angewiesen. Über vieles mag man als Gelegenheitsnutzer lächeln aber gerade aktuell bei dem GDL Streik..... die Armen Nutzer.

LG MV12

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