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Sun Apr 19 15:37:47 CEST 2009    |    rallediebuerste    |    Kommentare (171)    |   Stichworte: hintergrundwissen, Internet, Politik

Einige von euch werden es schon mitbekommen haben: am Freitag haben fünf große Internetprovider einen Vertrag mit dem BKA unterzeichnet, der den Zugang zu bestimmten Webseiten erschwert. Der Vertrag sieht vor, dass Internetbenutzer bestimmte Seiten, die im Zusammenhang mit Kinderpornografie stehen, nicht mehr angezeigt bekommen.

Die ganze Aktion - getrieben von Familienministerin Zens ursula von der Leyen - wird als großer Erfolg im Kampf gegen Kinderpornografie gefeiert, ist aber in Wirklichkeit absoluter BULLSHIT... und dazu noch extrem gefährlich!

 

1) Nur durch Wegschauen lösen wir das Problem nicht

Eine Filterliste, mit der der Zugriff auf Webseiten erschwert wird, ist für mich kein besonders großer Erfolg im Kampf gegen Kinderpornografie. Ein großer Erfolg wäre es, wenn es unsere Bundesregierung mal hinbekommen würde, die Produzenten dingfest zu machen. Leider scheint es aber zur Zeit so, dass die Konsumenten viel härter und schärfer verfolgt werden als die Produzenten.

In diesem Interview wird berichtet, dass bespielsweise auf der norwegischen Filterliste (die mit als Grundlage für unsere dienen soll) 70 Domainnamen stehen, die auf 25 Server hier in Deutschland verweisen. Warum geht man nicht mit dem selben Elan daran, an diese Server und deren Betreiber - und über diese an die wirklichen Täter - zu gelagen?

Nochmal: weit über 80% der entsprechenden Server stehen in demokratischen, westlichen Staaten, die über die entsprechende Rechtsabkommen verfügen!

 

2) Kinderpornografie wird heute fast gar nicht mehr über Webseiten verteilt...

Ich habe letztens ein Interview mit einem Pädophilen gelesen, der recht aktiv in der Szene war. Leider finde ich es nicht mehr. Eine der Hauptaussagen war allerdings diese:

Das Tauschen von kinderpornografischem Material über Webseiten ist schon seit langem viel zu gefährlich. Deshalb ist man dazu übergegangen, andere Verbreitungswege im Internet zu nutzen. Zum Beispiel Terminalserver.

Diese Verbindungen lassen sich vom Provider / BKA nicht überwachen, filtern oder sperren.

 

3) ... und selbst wenn: die Sperre funktioniert ja gar nicht

Laut BKA-Chef Jörg Ziercke wird auf DNS-Ebene gefiltert. Das ist so ziemlich das albernste, was man sich vorstellen kann. Selbst meine Omma könnte diesen Filter mit wenigen Mausklicks aushebeln, wenn man's ihr vorher ein, zwei mal gezeigt hat.

Für alle interessierten: Internetsperre umgehen in 27 Sekunden.

 

4) Alle Kinderpornoseiten auf einen Blick - der Traum jedes Perversen

Stellt euch das nur mal vor: es gibt eine Liste mit Adressen von hunderten oder tausenden Kinderpornoseiten.

Diese Liste wird von Menschen erstellt und verwaltet, und dann an die Internetprovider geschickt, wo sie wieder von Menschen in die entsprechenden Systeme eingearbeitet wird.

Wer von euch glaubt daran, dass diese Liste lange geheim bleibt?

Also in Australien hat's nicht lange gedauert  ;)

 

5) Reden wir mal über Missbrauch

Womit wir schon beim Thema wären: auf der australischen Filterliste finden sich neben ein paar Kinderpornoseiten auch viele Seiten, die sich mit ganz anderen Dingen beschäftigen - Glücksspiel (was in Australien wohl zum Teil verboten ist), Sterbehilfe, Satanismus, Homoerotik, Fetische - und vollkommen bedeutungslose Seiten, wie zum Beispiel die eines Zahnarztes aus Queensland oder die eines "school cafeterias consultants".

Oder schauen wir mal in andere Länder: in Thailand wurde auch eine Sperrliste für Kinderpornografie eingeführt - das Vok war begeistert. Tja, und mittlerweile befinden sich über 1200 Seiten auf der Liste, denen vorgeworfen wird, die Köngisfamilie beleidigt zu haben.

Auch aus Skandinavien hört man, dass die Filterlisten dort wohl nicht nur im Kampf gegen Kinderpornografie eingesetzt werden.

 

Ist aber bestimmt alles nur Zufall und kann bei uns in Deutschland gar nicht passieren, gell? Okay okay, vielleicht werden noch zurecht ein paar Naziseiten gesperrt, aber mehr passiert da nicht....gut, eventuell noch Scientology und andere religiöse Spinner.... vielleicht noch Bombenbauanleitungen, aber die gehören ja eh verboten... und Seiten, die sich mit Drogenhandel beschäftigen. Und filesharer. Aber mehr ganz bestimmt nicht.

 

6) Geheime Verträge über geheime Listen. Ist das überhaupt noch Demokratie?

"Über die genauen Inhalte der öffentlich nicht zugänglichen Verträge haben beide Seiten Stillschweigen vereinbart."

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Es gibt da einen geheimen Vertrag zwischen dem BKA und den Internetprovidern, in dem vereinbart wird, dass die Provider den Zugang zu allen Webseiten sperren, die auf einer geheimen Liste stehen.

HALLO?! Wo bleibt denn da die Kontrolle?

 

Kleines Gedankenexperiment: Das BKA ist der Meinung, dass dieser Blogeintrag hier schon ein kleines bisschen volksverhetzerisch ist, und daher landet "motor-talk.de" auf der Liste. Natürlich mit der Begründung, dass ich hier zu einem Artikel verlinke, der zu wikileaks.com verlinkt, welches wiederum eine Kopie der Filterliste bereithält. (Ihr lacht? So was kann wirklich passieren: vor ein paar Wochen wurde sogar die Wohnung des Domaininhabers von wikileaks.de durchsucht, weil diese zu wikileaks.com weiterleitet - mit genau der gleichen dämlichen Begründung!)

Wie auch immer: MT ist also auf der Liste. Und an wen wenden sich Habu, Tom und Bert, wenn sie der Meinung sind, dass die Seite zu unrecht gesperrt wurde? Laut dem lustigen roten Stoppschild an "kontakt@bka.de". Na super!

Ich richte also meine Beschwerde an das BKA - also an den Laden, der als einziger die Liste kennt, und noch schlimmer: der mich ursprünglich draufgesetzt hat. Gewaltenteilung anyone?

Bin ich der einzige, dem das irgendwie komisch vorkommt?

 

 

 

 

Wie gesagt: die ganze Internetsperre ist ganz ganz großer Bullshit - undemokratisch, gefährlich und sowieso nutzlos.

Das perfide an der Geschichte ist nur, dass man quasi gar nicht dagegen sein kann, ohne gleich in die Nähe von Kinderschändern gerückt zu werden, während sich hier in Wirklichkeit einige Politiker auf Kosten der Opfer profilieren und unter dem Deckmäntelchen des Kinderschutzes sinnlose Aktionen (gegen die Warnungen der Leute, die es besser wissen) möglichst öffentlichkeitswirksam durchdrücken.

Diese bodenlose Frechheit macht mich traurig und wütend!


Thu Jul 30 20:47:00 CEST 2009    |    Reifenfüller33234

Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand einen Link in der Art und Weise postet: "Schnelle Sportwagen" und dann auf eine Kiposeite verlinkt ist, aus meiner Sicht sehr gering. Von so einem Fall habe ich auch noch nie was gehört. Ausschließen kann man das natürlich nicht, man kann nichts "ausschließen". Ob dann bei demjenigen die Kripo vor der Tür steht, hängt von weiteren Kriterien ab.

 

Im Übrigen kann man sogar als völlig unbescholtener Bürger in Verdacht geraten, wenn z. B. der Provider eine falsche Auskunft zum Anschlussinhaber erteilt. Das ist aber allg. Lebensrisiko.

 

Wenn ich einen Link auf eine Seite, die Links auf Kipo enthalten, setze und weiß das, ... sorry den kann ich nicht bedauern, dass bei dem durchsucht wird. Dann ist der in der Verantwortung, zu schauen, auf welche Seiten er verlinkt! Wenn jemand ein offenes WLAN betreibt und andere nutzen das zur Begehung von Straftaten, ... sorry auch der muss sich nicht wundern wenn die Polizei vor der Tür steht.

 

Zum Abschalten der Server hatten wir ja oben schon mal diskutiert - oftmals ist da eben nicht so einfach.

Thu Jul 30 23:54:37 CEST 2009    |    rallediebuerste

Zum Abschalten der Server hatten wir festgestellt, dass das Kinderleicht geht.

 

 

 

Zitat:

Besser und einfacher als erwartet

Im Ergebnis waren 16 Internetdomains, die sich auf der dänischen Sperrliste befanden Geschichte, einige sogar dauerhaft. Bei 4 Domains teilten die Provider mit, es handele sich nicht um illegales Material oder der Seitenbetreiber hätte sogenannte "record keeping documents" vorgelegt, aus denen das (volljährige) Alter der Darsteller hervorgeht.

Bei 20 Domains "im Test" wohlgemerkt.

 

Zum Rest schreibe ich morgen noch was ;)

Fri Jul 31 17:01:20 CEST 2009    |    Marsupilami72

Und das theater geht weiter:

 

Neue Zweifel an Verfassungsmäßigkeit gesetzlicher Web-Sperren

 

Hoffentlich kracht unserer Regierung das Ganze richtig schön über dem Kopf zusammen...

Fri Jul 31 22:08:54 CEST 2009    |    troja_falls

es wäre schön, wenn das passieren würde, marsu.

nur leider wird das totgeschwiegen.

das sowas geht sieht man an der abschaffung der lichtpflicht von Ö.

eine ganze nation ist betroffen.

die einführung wird noch überall totgeschwatzt, die abschaffung kriegt man aber nicht mit.

Fri Jul 31 23:33:19 CEST 2009    |    rallediebuerste

eben kam ein Beitrag bei "Aspekte" (glaub ich)

 

War aber nicht so dolle. Meine Eltern, bei denen ich das ganze geschaut habe, haben jedenfalls nicht so ganz verstanden, worum's uns bei der Sache geht. Für mich kam's etwas zu kurz, dass sich die Seiten komplett entfernen lassen (ohne zusätzliche Gesetze) statt sie nur (unprofessionell) zu verstecken.

Und dass auf ALLEN Zensurlisten von anderen - durchaus fortschrittlichen westlichen - Staaten ein Großteil Nicht-KiPo-Seiten gelistet werden... aber hey: immerhin wird drüber geredet.

 

Gruß

Ralle

Fri Jul 31 23:34:57 CEST 2009    |    Marsupilami72

Gerade lief im ZDF Aspekte mit einem sehr eindeutigen Bericht über die Sperren - auch der im heise-Artikel genannte ex-Richter kommt zu Wort.

 

Also ich bemerke da schon einen Unterschied in der Berichterstattung - vor ein paar Wochen hätte es einen so eindeutig negativen Bericht wohl kaum gegeben.

 

Hier der Artikel:

 

http://aspekte.zdf.de/ZDFde/inhalt/6/0,1872,7611174,00.html?dr=1

 

 

Edit: Mist...zweiter :cool:

Fri Sep 18 16:11:48 CEST 2009    |    Kurvenräuber137127

Hier guckt euch das mal an:

 

Zensursula wird direkt mit den Youtube-Videos gegen Zenur konfrontiert:

 

http://www.youtube.com/watch?v=SSficlq_LqM&feature=topvideos

Mon Sep 21 11:05:23 CEST 2009    |    Druckluftschrauber2011

Ist ganz ganz schlimm. Die gute fährt wieder die volle emotionale Schiene.

Und außerdem hätte sie jemand fragen, wo denn KiPo nicht verboten ist. Wäre auf die Antwort gespannt.

 

Aber leider hat da wohl niemand von den Mods oder Gästen die "Eier" in der Hose, kontroverse Fragen zu stellen.

Wed Sep 23 09:20:40 CEST 2009    |    Kurvenräuber137127

Volker Pispers über Internetzensur

 

Mal wieder sehr treffend!

Wed Feb 17 22:28:02 CET 2010    |    Trackback

Kommentiert auf: videoblog:

 

Netzsperren-Gesetz: Köhler unterzeichnet Gesetz für Web-Sperren

 

[...] Rechtsstaaten wie Australien und Schweden!

 

Ich habe das ganze vor ein paar Monaten schon mal ausführlich in meinem Blog behandelt - da gibt's auch massig weiterführende Links, die zeigen, wie perfide das Gesetz eigentlich [...]

 

Artikel lesen ...

Thu Dec 16 09:23:58 CET 2010    |    rallediebuerste

Sorry, ich muss das Thema einfach noch mal hervorholen.

 

Interessante Betrachtung vom Spiegel angesichts der aktuellen Wikileaks-Debatte: Was WikiLeaks mit Internetsperren zu tun hat

Thu Dec 16 19:54:51 CET 2010    |    Druckluftschrauber2011

Unabhängig von deinem Beitrag habe ich diesen Beitrag heute auch im SpOn gelesen. Bringt die Sache sehr gut auf den Punkt uns ist, zumindest nach meiner Erinnerung, zu ziemlich die heftigste Kritik gegen das Zugangserschwerungsgesetz bei den großen Medien. Aber das kann auch täuschen.

Deine Antwort auf "Staatliche Internetzensur gegen Kinderpornos - gefährlicher Bullshit"

Angeberecke

Mein Blog hat am 06.08.2008 die Auszeichnung "Blogempfehlung" erhalten.

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